Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Zumindest, wenn man ihn selber fragt. Andere Gattungen würden das wohl in Abrede stellen, denn wo immer der Mensch auftaucht, haben sich die Lebensbedingungen der anderen Geschöpfe deutlich verschlechtert – sofern wir sie nicht überhaupt ausgerottet haben. Der Mensch bezieht sich in seiner Weltbetrachtung vorwiegend auf sich selbst. Dementsprechend groß ist auch der Ärger, wenn ihm andere Lebewesen ins Gehege kommen. Dass jetzt wieder vermehrt Viecher wie Bären und Wölfe bei uns aufkreuzen, passt nicht in unsere rasenrobotergepflegte Wellness-Atmosphäre. Natur ja bitte, aber nur als Kulisse, unkrautfrei und ohne schiache Sachen, die herumliegen. Zwar sind von den 31 in Österreich dokumentierten Wölfen keine Attacken auf Menschen bekannt, schon gar keine tödlichen. Dennoch ist die Angst-Diskussion voll entbrannt. Scheinbar sitzt uns das Märchen vom bösen Wolf stark im Unterbewusstsein.
Im Vorjahr wurden in Kärnten offiziell knapp 400 Schafe von Wölfen gerissen, und ich beneide keinen Schafbauern, der die zugerichteten Kadaver seiner Tiere findet. Was aber in den Diskussionen auffällt, ist eine ungeheure Aggressivität gegenüber jenen, die ein Gesamtbild auf die Natur haben wollen. Der Tenor: die "Naturschützer" (als Schimpfwort gebraucht) sind weltfremde Idioten, die Tiere gehören abgeknallt, und überhaupt passen Wolf, Bär und Co. nicht mehr in unsere Gesellschaft. Dies alles entspringt der Vorstellung, dass es auf der Erde kein höheres Ziel gibt, als den Menschen zu schützen, und zwar vor den Gefahren der Natur. Diese Vorstellung ist egozentrisch und realitätsfremd. Von welchen konkreten Gefahren reden wir? 2022 wurden 13 Kinder im Straßenverkehr getötet, aber kein einziges wurde von einem Wolf gefressen. Es gibt tausendfach mehr verhaltensgestörte Autofahrer als verhaltensgestörte Wölfe. Bei Erwachsenen sind die meisten Todesfälle in Österreich, nämlich mehr als ein Drittel, immer noch auf Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems zurückzuführen. Im Vorjahr sind knapp 32.000 Menschen daran gestorben. Gründe für diese Leiden sind mangelnde Bewegung, Rauchen, Fettleibigkeit und ungesunde Ernährung. Fachleute meinen, dass allein durch eine Änderung der Essgewohnheiten bis zu 50 Prozent der Todesfälle vermieden werden könnten. Statt vor Wildtieren müsste man also mehr Angst vor den toten Tieren auf dem Speiseplan haben.
Wie von Deix gezeichnet
Nichts fürchtet der typische Österreicher so sehr, als dass man ihm sein Schnitzel vom Teller zieht. Dabei ist die Not nicht so groß. Mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung ist übergewichtig bis hin zur Fettleibigkeit. Bei den Männern allein sind es sogar 60 Prozent. Wir nähern uns immer mehr amerikanischen Verhältnissen, oder: Wir sehen immer mehr aus wie von Deix gezeichnet. Besonders besorgniserregend ist, dass laut WHO schon jedes vierte Volksschulkind in Österreich übergewichtig ist, womit wir international stabil im oberen Mittelfeld liegen. Die Herausforderungen für unser Gesundheitssystem sind existenzbedrohend.
Wir sind ein Land der Fleischfresser: Der Fleischkonsum ist in Österreich um ein Drittel höher als im EU-Schnitt. Statistisch konsumiert jeder österreichische Bürger 59 Kilo Fleisch pro Jahr. Dafür wurden 2021 österreichweit 644.000 Rinder, 5.126.000 Schweine, 331.000 Schafe und 62.900 Ziegen geschlachtet, darunter auch 400.000 Kälber, Lämmer und Kitze – also Kinder, wenn man so will. Alles für unseren Gusto. Diese enormen Mengen stehen knapp 900 Schafen gegenüber, die von 31 österreichischen Wölfen im Vorjahr gerissen wurden. Die Fotos von den Kadavern sind widerlich und erzeugen starke Emotionen. Genauso widerlich wären aber die Fotos aus den Schlachthöfen, aus den Tierfabriken, aus manchen verwahrlosten Ställen, die teils unter den Augen der Gütesiegel-Verteiler ihr Billigfleisch für unsere nie enden wollende Fleischgier erzeugen. Dieses widernatürliche menschliche Verhalten ist der wahre Skandal, nicht die Existenz von Wildtieren.
Christian Hölbling