Wenn ich mir die seltsame Mischung von Corona-Demonstranten anschaue, frage ich mich: Wie hoch ist bei denen wohl der Nichtwähler-Anteil? Meine Vermutung: hoch. Viele, scheint mir, sind schon längst aus unserem System gekippt, lange vor Corona. Das ist individuell durchaus verständlich, denn die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, der Mittelstand strampelt sich ab, während die wirklich Vermögenden ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Das schafft Unfrieden, und das Gefühl, eh nichts ändern zu können, lässt resignieren oder macht wütend.
Demokratische Mitsprache
Und dennoch führt an demokratischer Mitsprache kein Weg vorbei. „Die Demokratie“, sagte Winston Churchill, „ist die schlechteste Staatsform, ausgenommen all die anderen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat.“ In einer Welt, in der Parlamente gestürmt, Regimekritiker vergiftet und verhaftet und unliebsame Journalisten mundtot gemacht werden, ist es angebracht, für unsere demokratischen Errungenschaften zu kämpfen. Manche unserer Vorfahren waren bereit, für ihre Überzeugung Nachteile in Kauf zu nehmen bis zum Tod.
Heute, in vergleichsweise risikolosen Zeiten, bewegen sich die meisten Menschen kaum aus ihrer Komfortzone heraus. Bei etlichen Wahlen bilden die NichtwählerInnen bereits die größte Partei. Sich in ein Wahllokal zu schleppen und ein Kreuzerl zu machen, ist für etwa ein Drittel der Bevölkerung schon eine zu große Zumutung. Aber: Wer sich nicht um die Politik kümmert, um den kümmert sich die Politik. Wer nicht einmal wählt, hat kein Recht, sich nachher zu beklagen.
Das Mindeste, was man als BürgerIn beitragen kann, ist, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Und auch sonst seine Meinung zu äußern, weil Mitsprache keine reine Holschuld der Politik ist, sondern sehr wohl auch eine Bringschuld von uns BürgerInnen. Aber leider: Die größten Blödheiten werden widerspruchslos hingenommen, die Widerrede wird gerne den üblichen Berufsquerulanten überlassen, denn die KärntnerInnen setzen lieber auf falsch verstandene Harmonie und singen etwas, anstatt sich kritisch und eindeutig zu Wort zu melden. So haben die machtbewussten Ortskaiser, die schlauen Taktierer, die visionslosen Phrasendrescher und die meinungslosen Händchenheber ein leichtes Spiel.
Bürgerbeteiligung
Gelobt seien daher jene, die bereit sind, sich in der Politik überhaupt noch zu engagieren, weil ihnen der Gemeinsinn wichtiger ist als der persönliche Komfort. Es ist mühsam, sich auf Gemeindeebene zu engagieren, weil man sofort in der Auslage steht, weil man greifbar und somit angreifbar ist. Und doch ist gerade lokalpolitisch so viel Positives möglich. Es ist verhältnismäßig leicht, zu gestalten, aber die agierenden Gestalten sind oft seit Jahrzehnten die gleichen. Visionen? Ideen? Neue Wege? Eher selten. Stattdessen immergleiche alte Rezepte. Bürgerbeteiligung ist oft nur eine Augenauswischerei, damit man ein neues Etikett, einen neuen Fördertopf, ein neues Taferl bekommt. Entschieden wird wie eh und je so, wie die wenigen im Gemeindevorstand sagen.
Von den etablierten Parteien geht kaum noch irgendeine spürbare Kraft der Veränderung aus, schon gar nicht auf lokaler Ebene. Es sind die handelnden Menschen, die etwas bewegen können, nicht die Parteien. Oft reichen in einer Gemeinde zwei, drei Persönlichkeiten, die den Willen und den Horizont haben, einer Vision nachzugehen. Mit der beschränkten Sicht der bloßen Straßenasphaltierer werden wir keine Zukunft meistern, weder global noch lokal. Es braucht wache Wählende, die das Maul aufmachen, und es braucht offene Gewählte, die bereit sind, zuzuhören, zu lernen und jahrzehntealte Muster über Bord zu werfen, im Sinne der nächsten Generationen und also im Sinne von uns allen.
Es gilt, sich in der Sache respektvoll zusammenzustreiten, anstatt sich in fauler Harmoniesucht auf den minderwertigsten Kompromiss zu einigen, um nur ja niemandem wehzutun. Das alles ist verdammt anstrengend, aber glaubt jemand ernsthaft, dass es Demokratie mühelos umsonst gibt?
Christian Hölbling