Hinter einer unscheinbaren Tür in der Via Monastero Maggiore mitten in der Altstadt von Cividale, ganz in der Nähe der Teufelsbrücke, verbirgt sich eine geheimnisvolle Anlage: der Ipogeo Celtico, die "Keltengruft". Über eine schwindelerregend steile Treppe geht es sieben Meter tief in den steinernen Bauch der Stadt und man befindet sich im zentralen Raum, von dem drei niedrige Gänge ausgehen. Die erste der drei geheimnisvollen Masken zieht den Blick auf sich. Eine mystische Wächterfigur? Zeugin eines uralten Kults?
Fest steht, dass das Höhlensystem am rechten Ufer des Flusses Natisone in eine bestehende natürliche Grotte geschlagen wurde. Doch von wem? Wann? Und warum? Welchen Riten dienten die Nischen an den Wänden, die roh aus dem Felsen geschlagenen Bänke oder das Becken? „Das ist völlig unklar. Es gibt keine relevanten Funde, die eine eindeutige Zuordnung erlauben würden“, bringt der österreichische Ur- und Frühgeschichtler Paul Gleirscher das Problem auf den Punkt.
Doch es gibt relevante Theorien. Ende der 1940er Jahre stellte der Archäologe Sandro Stucchi die These auf, es sei eine unterirdische Grabkammer aus dem 3. bis 1. Jahrhundert v. Chr., die Masken erinnerten ihn an die "têtes coupées", die abgeschlagenen Köpfe der Kelten, wie man sie aus Südfrankreich kennt. Die Kelten köpften ihre Feinde und mumifizierten die Schädel – ihr Kopfkult findet sich in Architektur und Skulpturen wieder und basiert auf dem Glauben, sich durch das Köpfen Kraft und Wissen des Widersachers anzueignen. Die Anlage wäre somit ein Hypogäum, eine Katakombe, und in die Nischen stellte man Urnen. "Punkto Kelten gibt es allerdings Zweifel", so Gleirscher. Mittlerweile spricht man auch in Italien lieber von einer "vorrömischen Kultur".
Später sollen die Römer und nach ihnen die Langobarden die Gruft in einen Kerker umgewandelt haben – Scharniere seitlich der Treppe zeugen von einer Tür, Spuren von Nägeln in den Kammern weisen auf Ringe und Ketten hin, mit denen man vielleicht Gefangene fesselte oder folterte. Weniger fantasievolle Wissenschaftler stellten eher praktische Überlegungen an und plädierten für eine antike Zisterne. Der Archäologe Aldo Messina ging 2005 hingegen davon aus, dass die Anlage im Mittelalter als jüdisches Ritualbad diente. Sie entspreche exakt den Normen einer "Mikwe". Das in den Felsen geschlagene Gewölbe sieht er als Becken mit "lebendigem", fließendem Wasser, das aus natürlichen Quellen stammte.
Die Bänke könnten Wartenden gedient haben sowie der Person, die den rituellen Tauchgang beobachtete und darauf achtete, dass alles den Geboten entsprach. Seit dem 13. Jahrhundert gab es in der Stadt Cividale eine blühende jüdische Gemeinde mit einem rabbinischen Gerichtshof. Ganz in der Nähe des Hypogäums hätte eine neue Synagoge entstehen sollen, deren Vollendung aber durch einen judenfeindlichen Patriarchen verhindert wurde. In Zeiten der Verfolgung könnte das Tauchbad ein geheimes Versteck gewesen sein. Genutzt wurde es bis 1614.
30 Jahre später kam es zu Umbauarbeiten, die viele Spuren tilgten. Aus dieser Epoche könnten laut Messina die drei Masken und das Monogramm IHS, die Abkürzung des Namens Jesu, über der Eingangstür stammen.
Lisa Kassin