Zweifellos gehört der Corsa degli asini zu den glanzvollen und auch humorvollen Höhepunkten des kommunalen Leben von Fagagna. Seit 1891 wird das Rennen der liebenswerten Grautiere am Hauptplatz vor dem Rathaus durchgeführt, und zwar jeden ersten Sonntag im September. Im Laufe der vielen Jahre seit seinem Bestehen hat sich das Eselrennen zu einem heiteren Volksfest ohne jeglichen tierischen Ernst entwickelt. Dazu trägt nicht zuletzt das manchmal eigenwillig bockige Verhalten der Tiere und ihr ganz und gar nicht heldenhaftes Erscheinungsbild bei.

Als wär ihr Wesen von jeglichen martialischen Attitüden verschont geblieben, so präsentieren sie sich. Völlig unaufgeregt und geduldig stehen sie an der Startlinie. Die Mitbewerber irritieren sie nicht im geringsten. Nervosität und Ehrgeiz scheinen sie nicht zu kennen. Manchmal prescht eine der Stuten vorzeitig in die Laufbahn. Dies aber nicht aufgrund einer spontanen Anwandlung von Temperament, vielmehr aus mangelnder Einsicht in die Notwendigkeit eines gleichzeitigen Starts. Etwa ein Dutzend Helfer beruhigen die Tiere, schieben sie bei Bedarf sorgsam hinter die Startlinie und kraulen ihnen beruhigend den Hals. Natürlich ist ein Tierarzt anwesend, aber eine Überforderung der Eselinnen ist nahezu ausgeschlossen. Jeweils vier Rennläuferinnen legen sich in die Kurven, halten das Tempo in den geraden Passagen und bleiben dann nach der vierten Runde ohne erkennbare Anstrengung geduldig wieder hinter der Ziellinie stehen. Dann folgt die nächste Vierertruppe, bis die Rundensieger gegeneinander antreten und alsdann der Gewinner feststeht.

Tränen, Umarmungen und Küsse

Die Jockeys sitzen auf Sulkys und sind natürlich bestrebt, das Allermöglichste aus ihren Asini herauszuholen. Jeder hat hier seine eigenen Methoden. Selten hilft lautes Zurufen. Je aufgeregter der Jockey schreit, desto ruhiger werden die Esel. Wenn sie nicht wollen, wollen sie nicht. Da kann es schon einmal vorkommen, dass eins der Tiere während des Rennens eigenwillig seinen Einsatz beendet und mitten in der Bahn stehen bleibt. Das sind dann die Anlässe für das Publikum auf der Tribüne, in lautes Bravorufen auszubrechen und Applaus regnen zu lassen. Alle Sympathien gehören dem Verweigerer. Die Esel bleiben unaufgeregt. Am erfolgreichsten sind jene, die von Anfang an ein moderat flottes Tempo anschlagen und es konsequent bis zum Ende durchziehen. Teamwork á la Fagagna. Ein Esel und sein Freund oder seine Freundin und sonst nichts. Kein Mitbewerber und kein Zuschauer findet Beachtung. Was zählt, ist wortloses Einvernehmen. Und ist dann der Corsa degli asini gewonnen, dann folgen Tränen, Umarmungen und Küsse - für den Esel. Den Esel lässt das kalt.

Seit den 1960er-Jahren wird das Fest von einem ehrenamtlichen Komitee, dem Pro Loco, im Mussodrom am Hauptplatz von Fagagna organisiert. Musso ist im Veneto-Dialekt die Bezeichnung für Esel. Was für das Pferd das Hippodrom, ist für den Esel das Mussodrom. Die Mussi kamen ursprünglich aus den vier Gemeinden von Fagagna: Centro, Paludo, Pic und Riolo. Mittlerweile nehmen Teams aus den verschiedensten Gegenden Friaul-Julisch-Venetiens teil, wie etwa aus Galleriano, Torreano di Martignaco, Lestizza, Pasian di Pordenone, Bertiolo, oder Bressa. All diese Orte sind den meisten an- oder durchreisenden Touristen auf dem schnellsten Weg an die Adria kein Begriff. Auf dem ersten Blick unscheinbar, besitzt Fagagna mit seinen etwas mehr als 6300 Einwohnern den zurückhaltenden Charme einer selbstbewussten immer noch authentischen Lokalität, der das Spektakuläre fremd zu sein scheint, die jedoch ihre spröde Eigenwilligkeit hartnäckig bewahrt. Die Mussi passen hierher.

Mittlerweile nehmen am Rennen Teams aus den verschiedensten Gegenden Friaul-Julisch-Venetiens teil
Mittlerweile nehmen am Rennen Teams aus den verschiedensten Gegenden Friaul-Julisch-Venetiens teil © Schmidauer

Zwischen Udine und San Daniele gelegen, war Fagagna nie mit einem Übermaß an irdischen Gütern gesegnet. Im Gegenteil. Die Armut zwang seine Bewohner in die Emigration. 1877 gründeten einige von ihnen in Argentinien den Ort Residencia. Andere Ziele waren Kanada, später dann auch die Schweiz. Heute leben die Fagagner in bescheidenem Wohlstand, hauptsächlich von ihrer Arbeit in den nahegelegenen Industriebetrieben und von kleinbetrieblicher Landwirtschaft.

Am zweiten Wochenende jeden Septembers erwartet den Besucher ein weiteres touristisches Gustostückerl: der Palio dei Borghi. Ihn gibt es seit 1978, und auch er wird von der Bürgerinitiative Pro Loco gestaltet. Im Mittelpunkt stehen die Bewohner und Mitglieder der genannten Ortsgruppen Centro, Paludo, Pic und Riolo, die ihre eigenen Farben und Wappen führen. Ihre Aufgabe ist es, in zwanzig Minuten ein Kapitel aus der Geschichte ihres Lebensraums szenisch darzustellen. Eine Jury bestimmt am Ende den Gewinner. Natürlich müssen eine Banda und Verkaufsstände mit Waren aus der Region dabei sein.

Von deftiger bis feiner Küche

Eine kulinarische Spezialität sind die Eselfleischgerichte. Sie gibt es nicht nur zum Corso degli asini, sondern das ganze Jahr. Zur Auswahl stehen Eselragout mit Tagliatelle oder Gnochi, Eseleintopf oder Esel-Mortadella. Der Latteria-Fagagna-Käse (aus Kuhmilch gewonnen) wird in drei Reifegraden angeboten und mit warmen Polentastreifen gegessen. Die Schweine werden alljährlich in der Zeit vom November bis März geschlachtet und verarbeitet. Fast schon vergessen ist der Pestàt: Speck wird durch den Fleischwolf gedreht, mit Gewürzen, Kräutern und Gemüse vermischt und in Wursthäute gefüllt. Der Pestàt dient zur Würzung von Suppen und Eintöpfen, aber auch als Brotaufstrich. Traditionell wird er immer noch in einigen Landhöfen und kleineren Fleischereien hergestellt. Ähnlich deftig schmeckt der Lardo: Besonders gereifter Speck wird mit Sellerie, Lauch, Salbei, Knoblauch, Petersilie und Zimt verfeinert und als Vorspeise oder als würzige Zutat zu Nudelgerichten serviert. Der Lardo erlebt in Italien gerade eine Renaissance.

Aber es geht auch feiner. Das Ristorante San Michele auf dem Burghügel, unmittelbar neben den Resten des Castello, verfügt über einen schattigen Gastgarten, von dem man einen sagenhaften Blick auf Fagagna und halb Friaul hat. Polpo (Tintenfisch), Muggine (Meeräsche), Gamberos (Garnelen) oder Porcini (Steinpilze) oder Wildgerichte findet der Feinschmecker auf der Speisekarte. Etwas unterhalb des San Michele liegt das Ristorante Al Castello mit einem ähnlich außergewöhnlichen Angebot. Wer es lieber einfacher mag, findet im Ort das volkstümliche Al Bacar mit schattigem Gastgarten und Sonnensegeln. Die Pizza schmeckt und ist preislich günstig. In etwa drei Kilometer Entfernung befindet sich der exklusive Golf Club Udine/Fagagna mit Restaurant und Bar.

Wer kennt nicht den Palio di Siena, das sicherlich härteste Pferderennen Italiens? In mittelalterlichen Kostümen treten die Reiter der siebzehn Stadtteile (Contrades) zweimal im Jahr auf ungesattelten Halbblütern gegeneinander an. Als man in Fagagna den Corsa degli asini ins Leben rief, war der berühmte Palio di Siena allen hier selbstverständlich ein Begriff. Grandezza, dieser uritalienische Wesenszug, bestehend aus unumstößlichem Selbstbewusstsein, bei gleichzeitiger Erkenntnis der Begrenztheit eigener (finanzieller) Mittel, die sich durch ein entwaffnendes Lächeln präsentiert, das findet man exzellent ausgebildet beim Eselrennen in Fagagna.

Das Siegergespann wird mit Beifall bedacht. Danach eilt das Publikum zu den Bierbänken. Die Übergabe des Pokals wird den Herrschaften von der Ehrentribüne überlassen. Und ganz zum Schluss führt der glückliche Gewinner seinen Musso noch eine Runde durch das Mussodrom. Auf seinem Sulky ein paar fröhliche Kinder. Das lässt nur einen Esel kalt.