"Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Werte zu erhalten." Das steht auf einer 3000 Jahre alten babylonischen Tontafel, aber die Sätze könnte auch ein frustrierter Wirt in den regennassen Sand von Grado geschrieben haben. Denn der ganze Ort regt sich über die neue Touristengeneration auf. In meiner Lieblingstrattoria bestellte ein Gast – kein Italiener, aber auch kein Deutschsprachiger – Pizza mit Thunfisch und Zwiebeln. Und dazu wollte er ausdrücklich zeitgleich eine Spaghetti Carbonara.
"Zeitgleich?", fragte der Wirt.
"Zeitgleich", bestätigte der Gast.
Dem Gast wurden also die Thunfisch-Zwiebel-Pizza und die Spaghetti Carbonara gebracht. Er zerschnitt zunächst die Spaghetti Carbonara (das allein hätte fünf Jahre Kerkerhaft verdient) und kippte sie über die Thunfisch-Zwiebel-Pizza, um alles gemeinsam zu essen. Der Wirt trat mit Tränen in den Augen zu mir an den Tisch. Er war über diesen Vorfall ernsthaft erschüttert, was viel über Italien und die tiefe Beziehung der Italiener zum Essen aussagt. "Wenn ich solche Gäste habe, dann muss ich mir auch keine Mühe mehr geben."
Und ein Mitglied des Gemeinderats schrieb auf Facebook, jetzt räche sich, dass Grado viele Jahre lang "in den ärmsten Ländern Europas" Werbung gemacht habe. Ein harter Satz. Denn auch Menschen aus "armen Ländern" haben ein Recht auf Urlaub, und wenn es für Grado reicht, scheinen die Touristen ja nicht soooo arm zu sein.
Außerdem ist es bizarr, dass dieser Facebook-Beitrag von einem Mitglied des Gemeinderats kommt, der es doch selbst in der Hand hätte, etwas zu ändern. Er könnte die Dorfpolizisten, die direkt der Gemeinde unterstehen, einfach anweisen, strenger zu kontrollieren – kein Radeln durch die Fußgängerzone, keine Badekleidung beim Bummel (wie in anderen italienischen Städten auch).
Aber das ist Politik. Der Facebook-Beitrag, so wird mir erklärt, hat einen tieferen Hintergrund. Er soll zeigen, dass es einen Riss in Grados Regierung gibt. Sollte demnächst der Bürgermeister stürzen und es zu Neuwahlen kommen – hier haben Sie es zuerst gelesen.
Und mit der verdorbenen neuen Generation ist es so eine Sache: Das wirklich Schlimme an der heutigen Jugend ist ja, dass wir nicht mehr dazugehören.
Post aus Grado
Stefan Maiwald