Im historischen Zentrum von Treviso rauscht, gurgelt und gluckert es auf Schritt und Tritt: Das norditalienische Städtchen am Zusammenfluss von Sile und Botteniga liegt auf dem Festland, wird aber wie das nur dreißig Kilometer weit entfernte Venedig von verschlungenen Wasserkanälen durchflossen. Rund 86.000 Trevisani leben hier in einem Gewirr aus kopfsteingepflasterten Gassen, filigranen Brücken, lauschigen Plätzen, Häusern mit winzigen schmiedeeisernen Balkonen und Straßenlaternen aus rosa Murano-Glas (wie in Venedig).
Treviso und die gleichnamige Provinz sind in vielerlei Hinsicht reich: Unternehmen wie Benetton, Geox, Stefanel oder De’Longhi haben hier ihren Sitz. In den nahe gelegenen Hügeln keltern Winzer Prosecco und auf den Feldern rund um die Stadt gedeiht der purpurrote Radicchio di Treviso IGP, um den in Venetien ein wahrer Kult betrieben wird. Zudem wirbt Treviso damit, der Geburtsort des Tiramisus zu sein.
Il salotto, Wohnzimmer, nennen die Trevisani die Piazza dei Signori, das Herz der Stadt. Um ihren besonderen Zauber zu erleben, sollte man sie zu allen Tageszeiten aufsuchen: Frühmorgens, wenn Frauen mit Stöckelschuhen, Anzugträger und Omas mit Weidekörbchen auf dem Lenker quer über die Piazza holpern. Nachmittags, wenn das Licht der Sonne die Fassaden des imposanten Palazzo dei Trecento (heute Sitz des Stadtrates), des Torre Civica und des Palazzo del Podestà leuchten lässt. Und abends, wenn sich Studenten an der Ecke zur Via Barberia zu einem Plausch treffen. Von der Piazza dei Signori führt die von Laubengängen gesäumte Flanier- und Shoppingmeile Via Calmaggiore schnurgerade zum mächtigen siebenkuppeligen Dom San Pietro Apostolo. Wer die Hand in das Maul der Löwen, die das monumentale Kirchenportal flankieren, legt, dem sei Glück gewiss, sagt man. Nicht verpassen sollten man die Nachbildung der Fontana delle Tette, den „Busenbrunnen“ aus dem 16. Jahrhundert. Aus der Oberweite einer anmutigen Dame sprudelt Wasser – früher soll es nach Bürgermeisterwahlen je drei Tage lang Wein gewesen sein.
Enge Gassen und gurgelnde Kanäle machen das Quartiere I Mulini, wo sich vereinzelt noch heute mächtige Mühlenräder drehen, zu unserem Lieblingsort. Hier eine urige Bar, dort eine schicke Enoteca – überall stehen Stühle und Tische im Freien. Im Herzen des Viertels, auf der winzigen Flussinsel Isola della Pescheria, wo Fischhändler in Plastikschürzen und Gummistiefeln ihre Produkte feilbieten, herrschen lebendiger Alltag und ganz viel Flair.
„,Andiamo a bere un’ombra‘, sagen die Trevisani, wenn sie Lust auf ein Gläschen Wein haben, wobei ombra (Schatten) das Wort bicchiere (Glas) ersetzt“, erklärt Andrea Marchesini, Chef des Restaurants Ai Brittoni, das in einem der schönsten Palazzi der Stadt untergebracht ist. Die Geschichte hinter dem „ombra“: Händler sollen Mitte des 19. Jahrhunderts Wein auf der Piazza San Marco in Venedig ausgeschenkt haben und, um den Wein zu kühlen, dem Schatten des Campanile gefolgt sein. Bitter und süß zugleich schmecken die purpurroten Köpfe des Radicchios. Die Hauptzutat der trevisanischen Küche ist auf den Menüs der Restaurants allgegenwärtig und es gibt so gut wie nichts, was nicht daraus gezaubert wird: Antipasti, Risotto, Pastafüllung, Lasagne, Torten oder Grappa.
Treviso ist eines der liebenswertesten Städtchens Norditaliens. Während Venedig unter der Besucherlast ächzt, taucht man hier in eine beschauliche Welt ein. Wer sich in die „bemalte Stadt“ aufmacht, erlebt ein ursprüngliches Italien mit hervorragender bodenständiger Küche. Zudem lässt sich Treviso perfekt mit einem Tagesausflug nach Venedig kombinieren: Regelmäßig verkehren Busse und Züge in die Lagunenstadt. Zum Shoppen oder Sightseeing – frei von Parkplatzsorgen.
Beate Giacovelli