Man schreibt das Jahr 1931. Mitten in der Weltwirtschaftskrise ereignet sich in der ehemaligen Untersteiermark nahe dem Städtchen Schönstein, heute Šoštanj, eine kleine Sensation: die erste Flugzeuglandung auf hiesigem Boden! Dem luftigen Gefährt entsteigt kein Geringerer als der tschechische, weltmarktführende Schuhfabrikant Tomáš Baťa. Er war sprichwörtlich vom Himmel geflogen, um mit der zwei Jahrzehnte alten "Lederfabrik Franz Woschnagg & Söhne" in der wirtschaftlich herausfordernden Zeit eine rettende Partnerschaft zu besiegeln.
Gefinkelte Tourismusprofis setzen heute an diesem himmlisch-erdigen Punkt an, um ihren Gästen die beeindruckende und zugleich viel zu unbekannte Geschichte der einst europaweit hochbedeutenden Lederstadt Šoštanj und deren Fabrikantenfamilie Vošnjak - Woschnagg näherzubringen. Jener außergewöhnlichen Familie, die klein in der Gerberzunft begann und sich durch unternehmerisches Geschick über Generationen Ende des 19. Jahrhunderts die Position der größten Lederfabrik in der k.u.k. Monarchie sowie im späteren Jugoslawien der Zwischenkriegszeit erarbeitete.
Noble Zeitreise
"Wir laden unsere Gäste zu einer noblen Zeitreise ins Jahr 1931 ein, um die Geschichte in einem 5-Sterne-Package einen halben Tag lang hautnah nachfühlen zu lassen", verkündet Guide Tina charmant im Outfit der 30er-Jahre. Und gleich geht es luxuriös-köstlich in die einstige und auch heutige Prestige-Location Villa Mayer an den gedeckten Tisch zum Lunch. Virtuell erscheint Malvina, Gattin von Herbert Woschnagg, Fabrikant in letzter Familiengeneration bis 1945, und erzählt aus den blühenden Zeiten, als Glanzleder für Pferd und Fuhrwerk in die ganze Monarchie bis in die Kolonien verkauft wurde. Und auch vom jähen Ende nach dem Zweiten Weltkrieg, mit dem die Enteignung und Verstaatlichung der Fabrik – sie bestand letztendlich bis 1999 – einherging.
In Noblesse gestärkt schwingt sich Tina nun mit ihren Gästen auf das gute steirische Puch-Rad im klassischen Retrostil. Am Marktplatz erschallt Blasmusik aus der Dose. Eigens inszeniert und einfach berührend. Sind es doch die Klänge der 1925 gegründeten Lederfabrik-Kapelle "Zarja". Die als sehr sozial geschätzten Woschnaggs erkannten schon damals den Wert der "Work Life Balance" und sorgten stets für die Rundum-Zufriedenheit ihrer bis zu 400 Mitarbeiter. Einst war die halbe Fläche der Stadt Fabriksgelände, heute ist noch ein Bruchteil davon als Häuserzeile am Marktplatz erhalten.
Bewegte Familiengeschichte
Mit dem guten Drahtesel radelt es sich in Kürze zum Herzstück des "Überbleibsels", wo heute das "Ledermuseum Slowenien" residiert. 210 Jahre dokumentierte Tradition ab der Gründung der Lederfabrik 1788 lassen staunen und ganz besonders auch der genaue Blick auf den riesigen Stammbaum. Der Enteignung folgte letztendlich für die überlebenden Familienmitglieder, eingestuft als "deutsche Staatsangehörige" trotz ihrer Partisanenunterstützung während des Krieges, die Ausweisung aus dem Lande, die vorwiegend nach Wien führte. Gregor Woschnagg, dessen Vater Walter einst gemeinsam mit Bruder Herbert die Fabrik leitete, stand Jahrzehnte als Spitzendiplomat im Dienst der Republik Österreich.
Auf dieses Aha-Erlebnis folgt das nächste. Chauffeur Emil wartet mit seinem Oldtimer, um die Gäste im Nostalgieflair freudig auf weitere noble Spuren der Fabrikantenlegenden zu führen. Auf Schloss Gutenbüchel! Wie wunderschön mag hier die frühe Kindheit Gregors gewesen sein! Das weitläufige Anwesen, zwei Jahrzehnte im Besitz der Fabrikantenfamilie, lässt die Idylle anno dazumal wunderbar erahnen. Als Lost Place mit zusätzlich atemberaubend verwachsenem Glashaus ist es ein Muss für alle Liebhaber verlassener Szenerien.
Aus der Vogelperspektive
Auch wenn die Zeitreise bis jetzt ohnehin mehr als zum Abheben gut war, wird es nun wörtlich genommen. Emil chauffiert zum kleinen Flughafen und Pilot Peter wartet bereits mit seiner viersitzigen Cessna 172. Aja, Tomáš Baťa! Den vergisst man jetzt glatt vor lauter Aufregung. Peter beruhigt: "Ich fliege seit 40 Jahren!" Das gibt Vertrauen. Das pittoreske Šalek-Tal breitet sich aus der Vogelperspektive aus. Man genießt! Dank Peter wieder sicher am Boden, fühlt man sich dennoch abgehoben! Und das hält noch eine ganze Weile an.
Regina Rauch-Krainer