Die Kleidung des eleganten Herren passt zur Altersangabe bei der Begrüßung. "Hello. My name is Nikola Tesla. I am 166 years old." Ja. Richtig gehört bzw. gelesen. "Hallo. Mein Name ist Nikola Tesla. Ich bin 166 Jahre alt", hat er gesagt. Und nach ein paar Sätzen glaubt man es ihm fast. So mitreißend und authentisch erzählt Boris Šušnjar in Ich-Form die Lebensgeschichte des Genies, dessen Namen manche Zeitgenossen nur von E-Autos kennen.
Šušnjar führt Touristen durch Karlovac und hat deshalb beruflich selten Stress. 99,9 Prozent der österreichischen Kroatien-Urlauber nehmen von der Stadt, wenn überhaupt, nur als Bezeichnung einer von ihnen ungenutzten Autobahnabfahrt Notiz. Egal, ob im Verbrenner oder im Tesla: Man will ans Meer. Das ist verständlich, aber schade, denn das Land hat so viel mehr zu bieten. Im Fall von Karlovac sogar ungeschminkt – abgesehen vom perfekten Tesla-Scheitel und Schnauzbart des Fremdenführers im Anzug aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert.
Die Stadt ist längst nicht überall so herausgeputzt, wie sie es gerne wäre. Der Kroatienkrieg 1991, in dem Karlovac an der Front lag, hat Spuren hinterlassen. Betroffen ist posthum auch Nikola Tesla, obwohl er 1943 starb und damit lange vor der Gründung des später zerfallenen Staates Jugoslawien. Für die Kroaten war der Pionier der Elektrotechnik ein Kroate, für die Serben war er ein Serbe. Und recht haben irgendwie beide: Tesla kam 1856 im heutigen Zentralkroatien, das Teil von Österreich-Ungarn war, als Sohn eines serbisch-orthodoxen Priesters zur Welt.
Interaktives Erlebnismuseum geplant
In Karlstadt, wie das damals ebenfalls österreichische Karlovac hieß, besuchte er das Gymnasium. "Im Unterricht habe ich meine Faszination für Physik entdeckt", erzählt der falsche Tesla bei der Stadtführung über den echten, der 1884 in die USA auswanderte und dort unter anderem mit der Erfindung des Zweiphasenwechselstroms Technikgeschichte schrieb. Mit dem "Nikola Tesla Experience Center", einem interaktiven Erlebnismuseum, will Karlovac seinem großen Schüler nun ein Denkmal setzen. Die Einrichtung soll noch vor dem Sommer eröffnet werden.
In Karlovac lernte Tesla, der 1895 für das erste große Kraftwerk der Welt die Niagarafälle anzapfte, die industrielle Nutzung der Wasserkraft kennen. Die Stadt liegt an vier Flüssen. Zu Teslas Zeiten standen überall Mühlen am Ufer, heute wird dort gebadet und geradelt. Bei der Streckenführung helfen Relikte aus dem Kroatienkrieg. Um über die vier "lästigen" Gewässer schweres Gerät und Männer schnell von A nach B verlegen zu können, baute man damals eine Behelfsbrücke nach der anderen. Viele blieben stehen und sind, obwohl sie recht abenteuerlich anmuten, noch immer befahrbar – zum Teil sogar mit Autos.
Die dem nach Namen nach kuriosesten Radstrecken verlaufen – natürlich auch über Kriegsbrücken – rund um das Dorf Jaškovo nördlich der Stadt. Sie heißen "Štrudla by Bike" und knüpfen an eine kulinarische Tradition der Region an: Im September wird hier immer das Strudelfest (Kroatisch: Štrudlafest) gefeiert. Bis zu 40 Betriebe servieren dann süße, pikante und ausgefallene Strudel. Bei Protagonisten, die der Spezialität ganzjährig frönen, kann man entlang der "Štrudla by Bike"-Routen einkehren und danach den Strudel gleich wieder abstrampeln.
1,4 Kilometer langer Strudel
Endgültig als internationale Strudel-Metropole etabliert hat sich Jaškovo anno 2015. Damals schaffte es das Dorf mit dem längsten Strudel der Welt ins Guinnessbuch der Rekorde. Er war 1479,38 Meter lang! Wie und warum man auf die Idee gekommen ist, kann heute niemand mehr so genau sagen. Ebenso wenig will man sich – im Unterschied zum Tauziehen um Tesla – auf Diskussionen einlassen, wer den Strudel erfunden hat. Das älteste überlieferte Rezept stammt übrigens aus dem Jahr 1696 und wurde in Wien aufgeschrieben.
Nikola Tesla bekam als Jugendlicher in Karlovac selten ein Stück Strudel, wie sein Darsteller erzählt: "Meine Tante, bei der ich wohnte, fütterte mich wie einen Kanarienvogel. So klein waren die Portionen!" Noch größer war nur sein Hunger nach Wissen. Die vierjährige Oberstufe des Gymnasiums schloss er in drei Jahren ab. Den größten Teil seines weiteren Lebens verbrachte der Erfinder in den USA, er wurde auch amerikanischer Staatsbürger.
Große Geste oder Geringschätzung?
Den Streit über seine Herkunft stört das nicht. Serbien benannte den Flughafen von Belgrad nach Nikola Tesla, Kroatien prägt sein Konterfei auf die mit der heurigen Euro-Einführung im Land notwendigen Cent-Münzen. Der zuletzt damit verbundene Konflikt hatte allerdings schon fast versöhnliche Töne. In Kroatien strich man die "große Geste" hervor, einen gebürtigen Serben so zu ehren, während sich Serbien darüber beschwerte, dass Kroatien Tesla nur für die Cent-Münzen und nicht für die großen Scheine verwendet. Und wie hätte Fremdenführer Šušnjar gerne sein verdientes Trinkgeld? "Egal." Investiert wird es wahrscheinlich ohnehin in Fachliteratur. "Ich glaube, niemand hat mehr Bücher über Tesla gelesen als ich."
Und natürlich wird dem Mann im Nikola-Tesla-Kostüm die Frage gestellt, die immer auftaucht. Šušnjar kann sie vermutlich nicht mehr hören, antwortet aber trotzdem freundlich: "Škoda. Ich fahre einen Škoda."