Was kürzlich in Ungarn publik wurde und durch die unabhängige Plattform Átlátszó aufgedeckt wurde, ist so kurios, dass es getrost als Schildbürgerstreich bezeichnet werden darf. Im Dorf Nyírmártonfalva wurde ein 50 Meter langer hölzerner Baumwipfelpfad mit EU-Fördermitteln errichtet. So weit, so gut, doch anstatt durch einen dichten Wald zu spazieren und auf saftige grüne Baumkronen zu sehen, blicken Besucher nur auf ein karges Feld herab. Da die EU-Mittel nicht gereicht haben sollen, entschloss sich der Grundstücksbesitzer kurzerhand, den gesamten Wald zu roden, um so, wie er behauptet, die Fertigstellung finanzieren zu können. Der Baumwipfelpfad wurde mittlerweile in Ungarn zum Sinnbild für Korruption und Missbrauch von EU-Mitteln. 

Errichter der hölzernen Brücke ist Mihály Filemon, seit 2019 Bürgermeister von Nyírmártonfalva und Mitglied der Fidesz-Partei. Er hat als Privatperson sein Projekt 2018 bei einer Ausschreibung zur "Förderung der ländlichen Entwicklung" eingereicht und erhielt für die Umsetzung 60 Millionen ungarische Forint EU-Fördergelder, umgerechnet knapp 160.000 Euro. Im Dezember 2022 wurde der Baumwipfelpfad fertiggestellt. Baumwipfel gibt es allerdings weit und breit keine zu sehen. Satellitenbilder auf Google Maps belegen, dass das nicht immer so war.

Dieser Wald wurde abgeholzt, um den Baumwipfelpfad fertigzustellen.
Dieser Wald wurde abgeholzt, um den Baumwipfelpfad fertigzustellen. © Googlemaps

Finanzierungslücke

In einem Interview mit dem ungarischen Fernsehsender ATV erklärte der Bürgermeister, dass er "gezwungen" war, den Wald abzuholzen. "Von der Beantragung des Projekts bis zur Bestätigung vergingen über drei Jahre, in denen die Baukosten explodiert sind, sodass die bewilligten EU-Mittel bei weitem nicht ausreichten. Außerdem wurden in dieser Zeit die Bäume schlagreif und laut den Plänen des Forstunternehmens mussten sie gefällt werden. Das Geld aus dem Holz haben wir dann in die Fertigstellung des Wanderwegs investiert", so die Erklärung von Filemon.

Minderwertig errichtet

Eine Begehung und Aufnahmen der Freizeitanlage durch Reporter von Átlátszó ergaben, dass die Ausführung äußerst minderwertig gemacht wurde. Bereits wenige Monate nach Fertigstellung zeigt die Konstruktion massive Risse, die Treppen sind unzureichend gesichert, bei einem daneben errichteten Pavillon ist das Dach beschädigt und die Toilettenanlagen sind leer. "Ich suche immer wieder Orte in Ungarn, die eindeutig den organisierten Diebstahl von europäischem Geldern aufzeigen. Dies ist definitiv einer dieser Orte. Er könnte kaum symbolischer sein", sagt Ákos Hadházy, unabhängiger Abgeordneter des ungarischen Parlaments, bekannt für seinen Kampf gegen die Korruption.

Baumwipfelpfade erfreuen sich unter Ungarns Bürgermeistern derzeit großer Beleibtheit, wie Átlátszó bei seinen Recherchen herausgefunden hat. Zwei weitere Fidesz-Politiker setzen solche Projekte mit EU-Fördergeldern gerade um. Zumindest vorerst stehen dort die Wälder noch.