Das war ein kleiner Schock für unsere Wohlfühlinsel: Letzte Woche zerstach ein Unbekannter in nur einer Nacht an 56 Autos 99 Reifen – völlig verrückter Vandalismus und offenbar genau geplant, denn der Täter schlug dort zu, wo es wenige Überwachungskameras gibt; die wenigen Bilder, die es gibt, zeigen eine Einzelperson, vermutlich einen Mann.
Die meisten Autos traf es rund um den Campo San Rocco, besonders auf der Piazza Donatori del Sangue, Blutspenderplatz. Aber als Letztes schlug der Täter gegen 4.30 Uhr an der Piazza Carpaccio zu; die Carabinieri vermuten, dass er von dort die Insel mit einem der ersten Busse verlassen hat – eine bequeme These, die bedeutet, dass es kein Einheimischer war.
Soziale Kontrolle
In Grado ist Kriminalität beinahe unbekannt. Denn für professionelle Diebesbanden sind Fluchtwege ein entscheidender Standortvorteil; je mehr, desto besser. Und da hat Grado mit seinem Damm bis Aquileia oder der Brücke nach Fossalon aus Ganovensicht verflixt wenig zu bieten. Dazu kommt die soziale Kontrolle: Auf der Insel kennt jeder jeden, und ein komisch geparktes Auto oder eine fremde Gestalt in einem vertrauten Hauseingang fällt schneller auf als in einer großen Stadt. Diese soziale Kontrolle – und das ist noch eine Besonderheit Grados – ist auch in der Nacht aktiv, wenn die Fischer zu ihren Booten am Hafen gehen oder von ihnen heimkommen. Daher ist so ein unvermittelter Akt sehr rätselhaft.
Der neue Carabinieri
Dazu passt die Meldung, dass der neue Carabiniere-Kommandant seine Stelle angetreten hat, ein ganz harter Bursche, der vier Mal in Auslandsmissionen eingesetzt wurde, darunter in Bosnien und gleich zwei Mal im Irak (Carabinieri, das ist wichtig, sind keine Polizei, sondern eine Militäreinheit, darauf legen sie größten Wert). Der Neue könnte sich gleich beliebt machen, wenn er den Reifenschlitzer findet.
Festivals
Das zweite große Gesprächsthema ist das Sangesfestival, das, wie jeder Gradeser praktisch automatisch hinzufügt, „älter ist als das von San Remo“. Neun Gruppen treten am 26. Oktober beim 56. „Festival della Canzone Gradese“ an, außerdem drei Jugend-Bands, alle aus Grado oder den umliegenden Orten. Das Festival ist eine große Sache für die Insulaner, denn fast jeder hat einen zumindest entfernten Verwandten auf der Bühne.
Es gab sogar mal ein berühmtes Filmfestival, zu dem Pier Paolo Pasolini und Maria Callas sowie die Mailänder Modewelt auf die Insel kamen, und man würde zu gern, wenn es noch biologisch möglich wäre, mit den damaligen Verantwortlichen ein paar Hühnchen rupfen, um sie zu fragen, wie sie so etwas Wunderbares einfach versanden lassen konnten.
Stefan Maiwald