Das ausdrucksstarke Gesicht des jungen Enrique Irazoqui, mit dem Pier Paolo Pasolini Jesus besetzte, im Gespräch mit dem Regisseur. Pasolinis geliebte Mutter Susanna als trauernde Madonna am Fuße des Kreuzes. Bis 25. August zeigt das Studienzentrum Pier Paolo Pasolini in Casarsa rund 40 Bilder, die der Filmfotograf Angelo Novi am Set des 1964 erschienenen Films „Das 1. Evangelium – Matthäus“ schuf.

Vor den Dreharbeiten zum „Matthäus-Evangelium“ machte sich der Regisseur in Israel auf die Suche nach geeigneten Drehorten. Aber dort hatten die Moderne und der Kapitalismus schon zu viel zerstört. Authentische Schauplätze fand er im rückschrittlichen, italienischen Süden. Matera, in den 1960-er Jahren der Schandfleck Italiens, wurde zu Jerusalem. Pläne wonach der aus der Jungsteinzeit stammende und damit zu den ältesten Siedlungen der Welt zählende Ort dem Erdboden gleichgemacht und neu errichtet werden sollte, haben sich zum Glück zerschlagen, 2019 war Matera europäische Kulturhauptstadt.

Emotional in Szene gesetzt

Das sonnenverbrannte, verlassene Dorf Barile in der Basilikata wurde zu Bethlehem, Kafarnaum in ein Fischerdorf in Kalabrien verlegt und den Versuchungen des Teufels widersteht Jesus am Ätna. Pasolini widmet den Film dem armen, aus der Zeit gefallenen, unwiderstehlich schönen Süden. „Ein Italien, in dem die Industrialisierung noch nicht stattgefunden hatte und das seit Jahrhunderten gleichgeblieben war mit seiner archaischen Armut und Bescheidenheit, konnte aus Pasolinis Sicht die heiligen Orte des Evangeliums emotional besser in Szene setzen“, sagt Ausstellungskurator Roberto Chiesi.

Wie ein Maler seine Farben so wählte Pasolini die Gesichter für seine Darsteller, sie sollten die archetypischen Charaktere der biblischen Gestalten widerspiegeln. Er drehte mit Laiendarstellern aus Apulien, der Basilikata und Kalabrien und hielt sich dabei wortwörtlich an das Matthäusevangelium. Für seinen Christus hatte er ursprünglich Schriftsteller wie Jewgeni Jewtuschenko und Jack Kerouac vor Augen, und Schauspieler wie Burt Lancaster. Dann fand er ihn im spanischen Studenten und Gewerkschafter Enrique Irazoqui, der in Italien Unterstützung gegen das faschistische Franco-Regime suchte. Er erinnerte Pasolini an die strengen Christus-Darstellungen El Grecos.

Es war Pasolinis erste filmische Auseinandersetzung mit einem literarischen Text und gleichzeitig sein einziges Werk, bei dem er eine Supervision zuließ, nämlich seitens der katholischen Organisation „Pro Civitate Cristiana“. Bei der Premiere gab es Standinig Ovations seitens des Vatikans. Die Faschisten waren schon vor Erscheinen des Films auf die Barrikaden gegangen und hatten dem „gottlosen“ Linken und bekennenden Homosexuellen vorgeworfen, die spirituelle Quelle des christlichen Abendlandes zu beschmutzen. „Die Polemik kam aber auch von den Linken, die nicht verstehen konnten, wie ein Marxist und Atheist einen Jesus-Film produzieren konnte“, sagt Chiesi: „Einerseits hat sich Pasolini als linker Atheist schon in seinen frühesten Gedichten mit den Mysterien des Glaubens beschäftigt, anderseits lehnte er Ideologien ab, Fanatiker waren ihm zuwider und mit diesem Film suchte er den Dialog mit fortschrittlichen, aufgeklärten Christen.“ 

Pasolini zeigt Jesus als Fleisch gewordenes Wort, als Wanderprediger, der revolutionär mit spiritueller Ethik und Logik die falschen und heuchlerischen Dogmen der herrschenden religiösen Autoritäten anprangert. „Er zeigt ihn als Kämpfer für die Armen, Entrechteten, Unterdrückten und versucht damit Berührungspunkte zwischen Urchristentum und Marxismus aufzuzeigen“, sagt Chiesi: „Er zeigt einen Jesus, der die Erniedrigten erhöht und das Schwert trägt.“