Sie haben es ja bestimmt schon gelesen oder gehört – Grado ist haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, denn das gerade in Dienst gestellte Schiff »Audace«, das von Grado nach Triest unterwegs war, geriet mit 80 Personen an Bord in Seenot, der Bug tauchte bedenklich ab: Alle Passagiere mussten von der Küstenwache evakuiert werden.
„Audace“ („kühn“, „wagemutig“) ist ja ohnehin schon mal ein schlechter Name für ein Schiff, das eigentlich das Vertrauen in die beliebte Linie wiederherstellen sollte, denn das Vorgängerschiff wurde als nicht hochseetauglich klassifiziert, was aber jahrelang niemanden zu stören schien.
Nur eine Sache
Das alles passierte am Mittwoch, das Schiff schleppte sich ohne Passagiere nach San Giorgio, wo es derzeit untersucht wird. Und schon am Samstag gab der Reeder der Tageszeitung „Il Piccolo“ ein selbstbewusstes Interview. Der Kapitän habe überhaupt keine Fehler gemacht, und auch das Schiff sei in hundertprozentigem Bestzustand. Man müsse nur (nur!) herausfinden, wo das Wasser eingedrungen sei.
Punkt eins: An seiner Stelle würde ich ganz kleine Brötchen backen, bevor die Untersuchungen nicht abgeschlossen sind. Ein wenig Zurückhaltung täte ihm gut – Menschen waren in Lebensgefahr, und dafür, dass alles so glimpflich abgelaufen ist, sollte er lieber ein paar Stoßgebete in den Himmel schicken, statt voreilige Statements rauszuposaunen.
Punkt zwei: Wenn es weder Schuld des Kapitäns noch Schuld des Schiffs selbst war: Warum genau geriet die „Audace“ dann in Seenot? War es der Erdmagnetismus, die kosmische Hintergrundstrahlung, schwarze Magie? Und dass man „nur“ das Problem des eintretenden Wassers lösen müsse, ist ja wohl ein ziemlich entscheidendes Detail bei einer zum Schwimmen ausgelegten Konstruktion.
Punkt drei: Ein Deutscher, der an Bord war, berichtete, dass alle 20 E-Bikes der Reisegruppe am Bug geparkt wurden, und E-Bikes sind ja deutlich schwerer als normale Räder. Hat das möglicherweise für ein Absenken des Bugs gesorgt? Dann wäre diese ungleichmäßige Lagerung natürlich Schuld der Besatzung (und damit des Kapitäns). Und die Frage muss erlaubt sein, ob ein Boot, das für 100 Passagiere zugelassen ist, wirklich durch 20 E-Bikes in Schieflage gebracht sein kann.
Bizarrer Weltrekordversuch
Das Thema wird uns in den nächsten Wochen noch ordentlich beschäftigen. So kommen wir gar nicht zum bizarren Weltrekordversuch am Strand. Nächstes Mal, versprochen!
Enden wir mit einer sehr italienischen Note: Als die Nachricht von dem Beinahe-Unglück die Runde machte, lieferten gleich drei Restaurants Pizzen, Häppchen und Getränke für die Geretteten und alle Helfer an die Hafenmole. Eine feine Geste.
Stefan Maiwald