Europawahlen? Welche Europawahlen? In Grado drehte es sich in den letzten Monaten nur um die Frage, wer der neue Bürgermeister wird. Und zuvor war ja noch das Festa della Repubblica! Grado fuhr wie immer ganz groß auf, mit Kapelle, Honoratioren in Trikolore-Schärpe und dröhnenden Kirchenglocken. Am 2. Juni 1946 entschieden sich die Italiener nämlich mit 13 Millionen zu 11 Millionen Stimmen für die Abschaffung der Monarchie und die Einführung der Republik. Erstmals durften damals auch die Italienerinnen abstimmen, deswegen gilt das Datum als doppelter Feiertag.

Fäuste flogen

Zurück zu unserer Wohlfühlinsel: Auf den Listen standen mehr als 100 Kandidaten, was bedeutete, dass der ganze Ort irgendwie involviert war. Und es ging am Wochenende hoch her (Italiener können auch am Samstag zur Urne). In einem der Wahllokale gingen ein Listenkandidat der Linken und ein Listenkandidat der Rechten aufeinander los, weil der Linkskandidat offenbar widerrechtlich im Wahllokal herumlungerte. Fäuste flogen, Polizei und Carabinieri fuhren vor. Auch wenn die Auseinandersetzung mit jeder Erzählung an den Bar-Stammtischen dramatischer wurde (irgendwann war von fliegenden Stühlen und Tritten gegen die Wahlhelferin die Rede, nächste Woche wächst sich das Ganze wahrscheinlich zu einer epischen Massenschlägerei aus) – mediterrane Lässigkeit war jedenfalls nicht am Werk.

Stimmengleichstand?

Da die Auszählung der Europawahl Priorität hatte, sickerten die ersten Zwischenstände erst am Montagnachmittag durch. Hektisch wurde telefoniert und gemailt, denn überall saßen Informanten, die engen Freunden heimlich Einschätzungen oder Zwischenergebnisse mitteilten, die natürlich sofort die Runde durch den Ort machten. Und es passierte etwas Merkwürdiges: Die örtliche Tageszeitung meldete im Online-Live-Ticker einen faktischen Stimmgleichstand von 36,06 zu 36,06 Prozent zwischen Kandidat Corbatto und Kandidat Marin (Kandidat Bredeon war bereits abgeschlagen), doch zwei Stunden später war der Sieg Corbattos offiziell – sogar mit 50,14 Prozent, dabei hätte eine einfache Mehrheit gereicht.

Erneut haben sich die Rechten wie schon 2016 mit dem Aufstellen zweier Kandidaten selbst geschlagen, und das, nachdem sie im Oktober ihren eigenen Bürgermeister gestürzt hatten. In Italien gibt es für solche Eigentore das schöne Sprichwort pisciato contro il vento – gegen den Wind gepinkelt. Wie auch immer: Mein Flurnachbar Giuseppe Corbatto ist Bürgermeister. Wir treffen uns jeden Morgen beim Gassigehen, auch unsere Hunde verstehen sich gut. Ich bin also ganz nah an den Schalthebeln der Macht. Kann für diese Kolumne ja nur gut sein!

Grado hat einen neuen Bürgermeister
Grado hat einen neuen Bürgermeister © KK

Doch nun vergessen wir die Politik, freuen wir uns auf den Sommer. Übrigens: Gerade als ich diese Kolumne abschicke, versucht Grado, mit einem besonders bizarren Event ins Guinness Buch der Rekorde zu kommen. Ich berichte nächste Woche!