Zu welchem Fußballverein halten eigentlich die Gradeser? Ja, es gibt den Ortsverein Gradese Calcio, der sehr, sehr unterklassig spielt (in der Seconda Categoria – was der achten von neun Ligen entspricht), und die Ergebnisse der Rot-Weißen in der abgelaufenen Saison bedecken wir am besten mit einem großen adriatischen Badehandtuch.
Vielleicht halten die Gradeser zu Udinese Calcio, dem nächstgelegenen Serie-A-Team? Auch die Friulaner erwischten eine ganz üble Saison und retteten sich erst am allerletzten Spieltag. Aber Udinese? Na, um Gottes willen! Grado und Friaul, das ist wie Feuer und Wasser, wie Dortmund und Schalke, wie Rapid und Austria. Es gibt nur wenige Ausnahmen, darunter erstaunlicherweise Pino Salvador, der Besitzer der Enoteca da Pino (bekannt aus »Meine Bar in Italien«).
Feuerwerk zum Meistertitel
Nein, tatsächlich halten die meisten Gradeser zum AC Mailand, so wie meine Schwiegermutter. Es gibt natürlich auch einige Juve- und Inter-Fans, und die Neapolitaner der Pizzeria Ciacolada haben ein Feuerwerk abgefackelt (wortwörtlich!), als Napoli im letzten Jahr überraschend den Meistertitel holte. Aber der AC Mailand, in Italien nur Milan genannt, überwiegt doch ziemlich klar.
Warum der AC Mailand? Wegen Mario David. Der Gradeser spielte sechs Jahre dort, gewann gemeinsam mit den Superstars Gianni Rivera, Giovanni Trapattoni und Cesare Maldini den Europapokal der Landesmeister und schaffte es sogar in die Squadra Azzurra. Bei der WM 1962 in Chile, beim Vorrundenspiel der Italiener gegen die Gastgeber, brach ihm der gegnerische Spieler mit einem Faustschlag das Nasenbein, dafür bekam er Gelb. Mario schlug ein paar Minuten später zurück und bekam Rot – eine der ersten roten Karten bei einer Fußball-WM überhaupt. Das Spiel ging als »Schlacht von Santiago« in die Fußballgeschichte ein, denn neben Mario David wurde ein weiterer Italiener sowie ein Chilene vom Platz gestellt. Die Chilenen siegten mit 2:0 und zogen ins Viertelfinale ein, Italien schied aus.
Eine ernste Angelegenheit
Mario David genoss seinen Lebensabend in Grado, erzählte immer gern von seinen fußballerischen Abenteuern (der Autor dieser Zeilen lernte ihn auch noch kennen) und verstarb 2005. Sein Sohn Fabrizio ist übrigens Tennislehrer auf den Plätzen zwischen Strand und Ville Bianchi und spielte selbst hochklassig – eine sportliche Familie.
Fußball, wen wundert’s, ist in Italien eine ernste Angelegenheit. Um den Fernseher meiner Schwiegermutter war jahrzehntelang ein Milan-Schal drapiert. Das geht mit den modernen Flachbildfernsehern nicht mehr. Jetzt liegt er als Glücksbringer direkt davor.
Stefan Maiwald