Romeo und Julia, die tragische Geschichte zweier Liebender, lockt seit Jahrhunderten nach Verona. Dennoch fiel Julias Haus im Vorjahr bei der Kritik durch – die Plattform Preply hatte 3000 italienische Tourismusdestinationen aufgrund von Bewertungen auf Tripadvisor einem Härtetest unterzogen. Der Tourismusmagnet schnitt aufgrund der langen Warteschlangen mit Abstand am schlechtesten ab. Was die Stadtverwaltung dazu bewog, eine bessere Besucherlenkung ins Leben zu rufen. Über Weihnachten und Neujahr (jährlich rund 170.000 Besucher) sowie am Valentinstag (jährlich rund 5500 Besucher) gab es einen Testlauf. Ob die neue Route beibehalten wird, ist noch nicht endgültig entschieden.
In der Casa di Giulietta soll der Legende nach Giulietta Capuleti, oder wie sie bei William Shakespeare heißt, Julia Capulet mit ihrer Familie gelebt haben, die mit Romeos Familie, den Montecchi oder Montague, in blutiger Fehde lag. Die beiden verlieben sich, heiraten heimlich und begehen aufgrund unglücklicher Verwicklungen Selbstmord.
Fantasievoller Unternehmergeist
„Die Location ist ein Schwindel“, sagt der venezianische Historiker und Autor Alessandro Marzo Magno. Und verantwortlich dafür ist der langjährige Direktor der städtischen Museen Antonio Avena, der von 1915 bis 1955 die kulturellen Geschicke der Scaligerstadt mit fantasievollem Unternehmergeist lenkte. „Avena wollte die Verbindung Veronas mit Shakespeare hervorkehren. 1935 nahm er ein heruntergekommenes Gebäude aus dem 13. Jahrhundert in der Via Cappello, das sich im Eigentum der Stadt befand, ließ es restaurieren und klebte einen gotischen Sarkophag aus dem 14. Jahrhundert daran.“
Sarg verlegt
Da niemand Einwände erhob, wiederholte Avena das Gleiche mit Julias Grab. Hier spielte auch Hollywood eine Rolle. Das Filmstudio Metro Goldwyn Mayer drehte 1936 einen Monumentalstreifen über die Geschichte und holte Avena als Konsulenten. Der Film wurde in den kalifornischen Studios gedreht und die beiden Liebenden setzten ihren tragischen Selbstmord in einer Krypta in Szene. Avena wollte den in Verona erwarteten Massen etwas Vertrautes bieten. „Da der mutmaßliche Sarg der Protagonistin hier aber im Kreuzgang eines Klosters stand, holte er sich die nötigen Genehmigungen und verlegte ihn 1937 in einen Keller, den man kurzerhand in eine Krypta umgewandelt hatte.“ Der Erfolg gab Avena recht.
Der Mythos um die beiden Liebenden lässt romantisch Veranlagte seit Mitte des 16. Jahrhunderts an Julias vermeintliches Grab pilgern – es begann unmittelbar nach Erscheinen der Novelle von Luigi da Porto und noch bevor Shakespeare den Stoff 1596 in eine der bekanntesten Tragödien der Theatergeschichte goss. Als Bildungsreisen bei den gehobenen Schichten Anfang des 19. Jahrhunderts in Mode kamen, wurde ein Abstecher nach Verona zu einem Muss.
Ursprung in Friaul
„Die Familien Capuleti und Montecchi sind in Verona historisch nachweisbar“, sagt Marzo Magno: „Doch die Geschichte um die beiden Liebenden hat im Friaul ihren Ursprung.“ Auf einem Maskenball in der Residenz der Savorgnan in Udine begegnet Luigi da Porto 1511 Lucina Savorgnan Del Monte, einer entfernten Cousine. Es war Liebe auf den ersten Blick. Doch es bleibt bei einem heimlichen Heiratsversprechen, denn vier Monate später wird der junge Adelige bei einem bewaffneten Konflikt mit österreichischen Soldaten am Fluss Natisone von einer Lanze am Hals verwundet und bleibt linksseitig gelähmt. Lucina heiratet einen anderen, da Porto zieht sich in seine Villa in Montorso Vicentino zurück. Er hält seinen Liebeskummer in einer autobiografischen Novelle fest, die er aus Sicherheitsgründen anonymisiert und in ein Verona zu Beginn des 14. Jahrhunderts versetzt.
Lisa Kassin