Am 9. Juni fielen vier von 45 Schafen einer Herde auf der Jochalm in Reisach im Bezirk Hermagor einem Wolfsangriff zum Opfer, zwei Tage später wurden noch einmal zehn Tiere tot aufgefunden. Beim Abtrieb am vergangenen Mittwoch galten zumindest weitere zehn Tiere als vermisst. Weiter westlich, auf der Jaukenalm mussten fünf Jungkalbinnen tot geborgen werden.

Nun liegt eine Anzeige bei der Bezirkshauptmannschaft (BH) Hermagor auf. Auf Basis der Berichterstattung über die Vorfälle hat der Verein gegen Tierfabriken (VGT) die Schafhalter wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz, Vernachlässigung und Tierquälerei angezeigt. Patrik Zenaty, zuständiger Bereichsleiter der BH Hermagor bestätigt: "Diese Anzeige ist bei uns eingetroffen. Sie wird auf Vorliegen eines Tatbestandes geprüft und bearbeitet."

VGT-Obmann Martin Balluch begründet in seinem Blog die Anzeige gegen die Schafhalter damit, dass es mittlerweile bekannt sei, dass es Wölfe in Kärnten gibt, trotzdem werden Schafe ungeschützt und unbehirtet in der freien Natur ausgesetzt: "Domestizierte Schafe sind Haustiere, die den Gefahren in der Wildnis hilflos ausgeliefert sind." Tausende Schafe würden jedes Jahr in Österreich sterben, weil sie auf Almen schutzlos ausgesetzt wurden, so Balluch.

Unverständnis und Verwunderung

Agrarreferent Landeshauptmann-Stellvertreter Martin Gruber (ÖVP) hält die Anzeige für absurd: "Die traditionelle Almwirtschaft ist eine der artgerechtesten Tierhaltungsformen, die man sich vorstellen kann. Diese als Tierquälerei zu bezeichnen, ist völlig absurd. Wer sich solche Anzeigen ausdenkt, hat jeglichen Sinn für die Realität und jeden Respekt vor der Arbeit unserer Landwirte verloren. Es sind die Wölfe, die unsere Nutztiere und damit die Almwirtschaft bedrohen und nicht umgekehrt!"

Die Anzeige bei der BH Hermagor 1.30 MB

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Der Obmann der Kärntner Almwirtschaft, Josef Obweger, kann die Anzeige durch den VGT ebenso nicht nachvollziehen: "Die Haltungsform auf der Alm gibt den Tieren den größten Freiraum. Dass gerade eine Tierschutzorganisation diese artgerechte Haltung verurteilt, verstehe ich nicht und wundert mich". Obweger führt an, dass es bereits im letzten Jahr eine ähnliche Anzeige des VGT in Salzburg gegeben habe und diese abgewiesen wurde.

Misshandlung

Laut Balluch verbiete das Tierschutzgesetz eine Almhaltung ohne Behirtung und die Halterinnen der Tiere hätten die Pflicht, diese zu schützen und zu versorgen: "Bei der Almhaltung von Schafen bedeutet das, dass es eine Behirtung und einen Schutz vor großen Beutegreifern geben muss, sowie einen Nachtpferch. Leider ist es in Österreich die Norm, Schafe einfach tierschutzwidrig derart zu misshandeln. Schuld am Leid ist hier nicht der Wolf, sondern die Vernachlässigung durch den Menschen!" In einer Aussendung am Dienstag bekräftigt Balluch seine Forderung gegenüber dem Agrarareferenten: "Herr Gruber, wenn Menschen ihre Hunde unbetreut auf Almen aussetzen? Wäre das ok? Wenn nein, was ist der große Unterschied zu Schafen? Beides sind domestizierte Tierarten, in beiden Fällen handelt es sich um Tiere, die nicht in der Wildnis, sondern in menschlicher Obhut aufgewachsen sind. Beides ist genau mit denselben Paragraphen im Tierschutzgesetz verboten."

Herdenschutz und eine andauernde Behirtung sei für die meisten Betriebe in Kärnten gar nicht umsetzbar: "Zwei Drittel der Almbauern haben gerade einmal 20 Großvieheinheiten und sind Nebenerwerbslandwirte, sie schauen nach ihren Tieren, wann immer es ihnen möglich ist. Aber ein durchgehender Schutz durch einen Hirten ist für sie weder finanziell noch zeitlich stemmbar und illusorisch", sagt Obweger.

Wolf gefährde Diversität

Ist die Almhaltung ohne Herdenschutz angesichts der Ausbreitung des Wolfes dann tatsächlich Tierquälerei und verantwortungslos? Josef Obweger stellt die Gegenfrage: "Ist die ungehinderte Ausbreitung des Wolfes verantwortlich?" Mittlerweile zerstört dieser die Diversität der Almen. Ein Rückgang der Almbewirtschaftung ist aufgrund der Verluste bereits deutlich spürbar. Denn trotz finanzieller Entschädigungen verzichten immer mehr Bauern, die eine enge Bindung zu ihren Tieren haben, auf den Almauftrieb.