"Wir haben viele Indizien, die alle auf den Angeklagten deuten", sagte Staatsanwältin Sandra Agnoli. Über 14 Jahre nach einem Mord wurde am Landesgericht Klagenfurt einem Marokkaner (49) der Prozess gemacht. Dem in Italien lebenden Mann wirft die Staatsanwaltschaft Klagenfurt vor, 2008 bei Völkermarkt die Italienerin Anna Todde, mit der er ein Verhältnis gehabt habe, vorsätzlich getötet zu haben.
Staatsanwältin Sandra Agnoli sprach am ersten Prozesstag am Dienstag angesichts der heftigen Gewalt bei der Tat von einem sogenannten "Overkill" und meinte: "Es war eindeutig eine Beziehungstat." Der Angeklagte habe alles getan, um die Identität der Toten zu verschleiern, weil der Verdacht zuerst auf ihn gefallen wäre, meinte die Anklägerin. Um Spuren zu verwischen, soll der Angeklagte den Leichnam mit Brandbeschleuniger angezündet haben. Identifiziert wurde die tote Frau erst Jahre später. Sichergestellte Spuren von Sperma rückten 2022 den nun angeklagten 49-Jährigen in den Fokus der Ermittlungen.
Zehn Vorstrafen
Der Mann wollte anfangs das spätere Opfer gar nicht gekannt haben. Dann gab er gegenüber der Polizei an, zur fraglichen Zeit in Spanien gewesen zu sein. Der Verteidiger des Angeklagten, Nikolaus Rast, beteuerte im Landesgericht, sein Mandant sei unschuldig: "Er ist sicher kein guter Mensch, aber er ist kein Mörder." Der Angeklagte hat zehn Vorstrafen. Die Anklage der Staatsanwaltschaft sah der Wiener Anwalt allerdings auf wackeligen Beinen: "Alles im Reich der Fantasie, eine Wunschvorstellung."
"Einseitiges Ermittlungsverfahren"
Der Verteidiger kritisierte das gesamte Ermittlungsverfahren gegen seinen Mandanten als einseitig und nicht objektiv. Die Anklage stützt sich auf Spermaspuren, welche laut Staatsanwaltschaft bei einer lebenden Frau maximal 24 Stunden lang nachgewiesen werden können. Rast verwies auf ein Gegengutachten, dass Sperma auch Tage später nachgewiesen werden kann. Der Verteidiger wollte damit belegen, dass der sexuelle Kontakt lange vor dem Mord an der Frau passiert sei. Die DNA-Spur passe zwar zu seinem Klienten, es sei aber keine richtige Beziehung gewesen. Sein Mandant habe die Frau immer wieder getroffen, um mit ihr sexuell zu verkehren. Deshalb habe er nach ihrem Verschwinden auch nicht nach ihr gesucht.
Der Angeklagte bekannte sich "nicht schuldig". Mehr hörte man von ihm am Dienstag vor Gericht nicht. Er verweigerte jede weitere Aussage. Da vertraue er seinem Rechtsanwalt. Die Verhandlung verfolgte er regungslos. Zur Überraschung vieler, gab es bereits Dienstagabend einen Urteilsspruch. Ursprünglich war der Prozess für zwei Tage anberaumt gewesen. Das Urteil: Lebenslange Haft für den 49-Jährigen. Fünf der acht Geschworenen sahen die Schuld als erwiesen an. Ein knappes Urteil, denn bei Stimmengleichstand der Geschworenen gilt "In dubio pro reo" – im Zweifel für den Angeklagten. Verteidiger Rast meldete Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an, das Urteil ist also nicht rechtskräftig.
Emotionale Einvernahme
Als Zeugin sagte am Dienstag auch die Schwester der Toten aus. Sie hatte den Angeklagten, den sie als Freund ihrer verwitweten Schwester kennengelernt hatte, zu Beginn ihrer Befragung eindeutig identifiziert. Ihre Schwester habe ihr im Sommer 2008 erzählt, dass er mehr in sie verliebt sei als sie in ihn. Sie habe sich überlegt, die Beziehung zu beenden. Er habe sie finanziell unterstützt, habe sie aber auch gestresst und sei eifersüchtig gewesen. "Es hat ihm nicht gefallen, dass sie spielsüchtig war", sagte die Schwester. "Sie war mit ihm wegen des Geldes und nicht wegen der Liebe zusammen." Ihre Schwester liebte den Luxus. Der Angeklagte habe sie mehrmals kontaktiert und gebeten, ihre Schwester von der Beziehung zu ihm zu überzeugen. Der Marokkaner war zum Schein mit einer Spanierin verheiratet.
Wurde sie von der Mafia bedroht?
Verteidiger Rast glaubt nicht an eine Beziehungstat im klassischen Sinn. "Spielschulden als Mordmotiv sind wahrscheinlicher", sagte er. So habe es auch die Staatsanwaltschaft in Rom gesehen, meinte er. Diese habe die Ermittlungen in dem Fall eingestellt. Er befragte die Schwester, was sie denn über etwaige Spielschulden und Bedrohungen aus dem Milieu wisse. Ihre Antwort: "Nichts".
Rast erinnerte sie an ihre Aussage bei der Polizei im Jahr 2012. Damals hätte sie angegeben, dass ihr ihre Schwester bei verschiedenen Gelegenheiten erzählt hätte, wegen des Glücksspieles Schulden zu haben, und von Turin weggehen zu müssen, weil sie Angst hätte, man würde sie wegen ihrer Schulden aufsuchen. An etwas kann sich die Schwester aber erinnern: Als sie einige Wochen vor ihrem Tod bei ihr auf Urlaub war, dürfte Anna eine böse Vorahnung gehabt haben. Sie sagte, sie wolle verbrannt bei ihrem verstorbenen Ehemann beerdigt werden, sollte ihr einmal etwas zustoßen, so die Zeugin.
SMS aus dem Jenseits?
Wochen später war Anna Todde verschwunden. Als sie ihre Schwester nicht erreichen konnte, sei von deren Handy eine Nachricht gekommen, sagte die Schwester vor Gericht. Wann diese genau gekommen war, kann sie nicht mehr sagen. Es sei auf jeden Fall nach dem 4. Oktober gewesen. In der Textnachricht stand, dass ihre Schwester ihr Leben ändern wolle, glücklich sei und man nicht nach ihr suchen sollte. Stutzig wurde sie, weil die Nachricht mit Sternchen versehen war, sagte die Zeugin. Weil die Mutter nicht zu beruhigen gewesen sei, wurde schließlich Vermisstenanzeige erstattet. Die Familie hatte jahrelang Hoffnung. Bis 2012 die vier Jahre zuvor in Völkermarkt getötete Frau als Anna Todde identifiziert wurde.
Claudia Beer-Odebrecht