Ein hyperventilierendes Boulevard-Medium schreibt: "TV-Sensation – überraschendes Comeback von Sebastian Kurz im ORF!" Auf Twitter bekommt der ORF von ebenfalls hyperventilierenden Usern für seine Einladungspolitik zur Diskussionssendung "Im Zentrum" am Sonntagabend sein Fett ab. Mit welcher Berechtigung sitzt Kurz zum Thema "Europa am seidenen Faden – Wie groß ist Chinas Macht?" im Fernsehstudio? "Er war vier Jahre Außenminister, vier Jahre Bundeskanzler und hat 2019 die China-Strategie der EU mitbeschlossen", sagt Moderatorin Claudia Reiterer zu Beginn der Sendung fast schon verteidigend über den früheren ÖVP-Chef, gegen den nach wie vor Ermittlungen wegen Falschaussage im U-Ausschuss laufen.

"Erhobener Zeigefinger ist gefährlicher Trend"

Was folgt, ist eine weitgehend sachliche, aber wenig inspirierende Diskussionsrunde mit den Expertinnen und Experten Velina Tchakarova (Politikwissenschaftlerin), Joëlle Stolz (Journalistin), Mikko Huotari (Sinologe) und Martin Selmayr (Leiter der Vertretung der EU in Österreich). Kurz macht vor allem zu Beginn das, was er irgendwie immer schon gemacht hat: Viel reden, dabei aber nicht ganz so viel sagen. Der Ex-Kanzler kritisiert die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die im Rahmen ihrer China-Reise vergangene Woche erklärte, sie sei besorgt, dass die Freiräume für die Zivilgesellschaft und die Menschenrechte in China beschnitten würden. 

"Ich halte es für einen gefährlichen Trend, wenn europäische Politiker zu sehr mit erhobenem Zeigefinger in anderen Ländern unterwegs sind", sagt der frühere österreichische Außenminister. Selmayr und Huotari schütteln über Kurz' Kritik an Baerbock den Kopf. Kurz betont, er halte es für wichtig, den Kontakt mit China zu stärken und Vertrauen aufzubauen, gleichzeitig aber auch die Abhängigkeit Europas zu reduzieren. China sei "Partner, Rivale und Mitbewerber – und der wichtigste Wirtschaftspartner für die EU". Eine Strategie der Deeskalation sei grundsätzlich richtig, meint der Ex-Kanzler. Die Frage sei, ob China seine Stärke nutzen werde, "um auf Putin einzuwirken".

"Kern kann mit Niederlage nicht umgehen"

Zum Abschluss der Sendung darf Kurz noch das bekannte "Nebelgranaten werfen"- und "Whataboutism"-Spiel spielen. Von Claudia Reiterer über die Enthüllungen zu vermeintlicher Inseratenkorruption befragt, teilt Kurz gegen seinen Vorgänger als Kanzler, Christian Kern (SPÖ), aus. Dieser hatte nach den Enthüllungen erklärt, nun sei klar, dass "Kurz und seine Freunde 2017 die Wahlen manipuliert" hätten. "Sechs Jahre nach der Wahlniederlage tut sich Kern immer noch schwer, damit umzugehen", hält Kurz dem entgegen. Die Ergebnisse demokratischer Wahlen nicht anzuerkennen, sein "ein Trend, den Donald Trump erfunden" habe.

Kurz über einen seiner ehemaligen "Prätorianer": "Es ist falsch, was Thomas Schmid aussagt. Die Inserate von 'Heute' und 'Krone' sind damals weniger stark angestiegen als bei anderen Zeitungen." Außerdem sei er damals Außenminister und nicht Finanzminister gewesen. Und überhaupt seien die Inseratenausgaben der Stadt Wien immer höher gewesen. Dass es um Vorwürfe der Einflussnahme auf redaktionelle Berichterstattung geht, blendet Kurz unwidersprochen aus. Die Ermittlungen gegen seine Person sieht er gelassen. "Ich bin froh, wenn es endlich zu einer Anklage kommt", sagt der frühere ÖVP-Chef. Er sei nämlich von seinem Freispruch überzeugt. Und wie steht er zu einem möglichen Comeback in der Politik? "Es war zwar nett bei Ihnen heute", sagt Kurz zu Reiterer. "Aber ich bin sehr glücklich, mit dem, was ich jetzt tue." Er war zehn Jahre Mitglied der Bundesregierung, betont Kurz. "Ich glaube, ich habe meinen Beitrag geleistet."

Ein Satz, der sich mehrdeutig interpretieren lässt. Es bleibt dann doch ein schaler Beigeschmack. Man könnte es auch "Litigation PR" nennen.