"Der Kontakt zu den Großeltern ist abgebrochen. Wir erreichen sie derzeit nicht", erzählt Ibrahim Yardim (40) verzweifelt. Opa und Oma des Klagenfurters konnten gerade noch sich selbst aus ihrer Eigentumswohnung in Elbistan retten. Noch nicht einmal ein Aufladegerät für ihr Handy konnten sie mitnehmen. "Das gesamte dreistöckige Wohnhaus, in dem sie gewohnt haben, ist zusammengebrochen. Gott sei Dank sind sie unverletzt geblieben." Unterschlupf haben sie derzeit bei Verwandten gefunden – doch die Angst sitzt bei allen weiterhin tief.

Auch Yardims Kinder, Denis (14) und Larissa (12), sind voll der Sorge um ihre Urgroßeltern: "Über die sozialen Medien werden Bilder, Videos geteilt, die für die Kinder sehr, sehr schlimm sind."

Ein Erdbeben der Stärke 7,9 hat Montagnacht die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert. Am Nachmittag folgte ein Nachbeben mit einer Stärke von 7,7. Dienstagfrüh erschütterte ein weiteres Beben der Stärke 5,6 die Zentraltürkei. Mehr als 5000 Tote sind zu beklagen. Unter den Trümmern der eingestürzten Häuser werden nach wie vor Menschen vermutet.

Lebt der Onkel noch?

Große Angst hat auch Cuma Atas (41) – und zwar um seinen Onkel. Der Mann ist ebenfalls in Elbistan zu Hause, wurde von den Trümmern verschüttet und konnte bis jetzt noch nicht geborgen werden. "Leider müssen wir deshalb davon ausgehen, dass er das Unglück nicht überlebt hat", sagt der Gastronom aus Villach. Seine Schwiegereltern können ihre Wohnung nicht mehr betreten und müssen derzeit in ihrem Auto schlafen. "Es ist völlig unklar, wie lange die Situation für sie so bleibt. Weder persönlich noch über Behörden können wir derzeit Kontakt mit ihnen halten." Verwandte haben sich deshalb von Istanbul und Izmir in Richtung Elbistan aufgemacht.
Dienstagnachmittag erreichte Atas dann eine positive Meldung: Ein Cousin konnte lebend aus den Trümmern gerettet werden.

Cuma Atas bangt um seinen Onkel
Cuma Atas bangt um seinen Onkel © Privat

Kein Kontakt zu Verwandten

Ümit Baran, ebenfalls Restaurant-Besitzer aus Klagenfurt, hat Verwandte in Diyarbakir: "Das Haus meines Onkels wurde in der Mitte auseinandergerissen. Verletzt wurde zum Glück niemand, die Situation ist aber höchst dramatisch. Wir haben noch immer nicht alle erreicht." Zahlreiche Gebäude wurden auch dort völlig zerstört, es gibt Tote und Verletzte.

Ümit Baran stellt eine Spendensammlung auf die Beine
Ümit Baran stellt eine Spendensammlung auf die Beine © Privat

Geschäft und Wohnung zerstört

Muammer Sahin (60) war bis Montag in Istanbul bei seiner Frau. Der Taxilenker, der in Klagenfurt lebt und arbeitet, bangte um seine Mutter und eine seiner beiden Schwestern, die in Malatya leben: "Das Appartement meiner Schwestern wurde völlig zerstört, auch mein Elternhaus und das Geschäft meines Bruders existieren nicht mehr." Mutter und Schwester haben jetzt Unterschlupf in 18 Kilometer Entfernung von Malatya gefunden. Unverletzt.

Autobahnen völlig zerstört

Selbst in Damaskus wurden Erdstöße registriert. Firas Alschikha (50), Konditor in Klagenfurt, weiß von seiner dort beheimateten Mutter von "wackelnden Deckenleuchten". "Gröbere Schäden gab es nicht, verletzt wurde sie auch nicht." Das Haus von Freunden in Sarmada ist hingegen nicht mehr bewohnbar, deren Nachbarn "haben alles verloren".

Freunde von Firas Alschikha können nicht mehr in ihr Haus
Freunde von Firas Alschikha können nicht mehr in ihr Haus © Kira von der Hagen


Erkara Ertürk (33) bangt derzeit in Klagenfurt um seinen Schwager: "Die Autobahnen sind völlig zerstört, er schafft es nicht aus dem Bebengebiet." Auch das Haus seiner Eltern wurde völlig zerstört. Aus seinem weiteren Bekanntenkreis gibt es sogar eine Todesmeldung. Weil er sonst nicht viel tun kann, sammelt er in seinem Kebab-Laden "Best of Kebab" (Villacher Straße 4) noch bis Donnerstag Spenden.

Erkara Ertürk sammelt Sachspenden
Erkara Ertürk sammelt Sachspenden © Kira von der Hagen

Große Solidarität

Die Solidarität mit den Betroffenen im Erdbebengebiet ist auch in Kärnten groß. In Villach sammeln Zeki und Gülsen Kandemir in ihrem Transportunternehmen in Villach Sachspenden: "Es wird alles gebraucht: Winterkleidung, Decken, Pampers."

Sinan Tepe, Integrationsbeauftragter der Stadt Klagenfurt, ist sich sicher, dass es die Solidarität noch lange braucht: "Die Menschen vor Ort haben alles verloren. Der Wiederaufbau wird lange dauern." Deshalb versucht auch er innerhalb der nächsten Tage Sammelstellen in ganz Kärnten zu installieren. Geplant ist auch ein Aktionstag, an dem Gastronomen ihre Tageseinnahmen spenden werden.

Sinan Tepe hofft auf lang anhaltende Solidarität
Sinan Tepe hofft auf lang anhaltende Solidarität © Helmuth Weichselbraun