Dem größten Gletscher Österreichs, der Pasterze am Fuße des Großglockners, steht nach dem warmen Sommer 2022 erneut ein starker Rückgang bevor. Die offiziellen Werte werden zwar erst im kommenden April veröffentlicht: Nach 42,7 Metern im Vorjahr könnte der Gletscher heuer aber 50 bis 70 Meter an Länge verlieren. Darauf lassen aktuelle Messungen des Alpenvereins schließen. Überdies droht die markante Gletscherzunge in naher Zukunft von ihrem Nährgebiet abgetrennt zu werden.
"Die Pasterze, wie wir sie kennen, mit langer Gletscherzunge und hohen Firnfeldern, wird es nur mehr wenige Jahre geben", erklärte Andreas Kellerer-Pirklbauer bei einem Pressetermin am Gletscher. Der Wissenschafter am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz leitet gemeinsam mit seinem Kollegen Gerhard Lieb das Team des Gletschermessdienstes des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV). "Der Eisnachschub von dem riesigen Nährgebiet in rund 3000 Metern Höhe wird abbrechen. Der untere Teil wird dann nicht mehr versorgt und an Ort und Stelle abschmelzen."
Dass es um das "Ewige Eis" in den heimischen Alpen nicht ums Beste bestellt ist, ist seit Jahren kein Geheimnis mehr. Im Jahr 1850 betrug die Gesamtfläche aller Gletscher Österreichs noch 941 Quadratkilometer, zuletzt ist sie auf unter 300 Quadratkilometer gefallen. Dramatischer zeigt sich der Rückgang bei der Masse: Sie beträgt nur mehr rund 15 Prozent des damaligen Wertes, sagte Kellerer-Pirklbauer. An nur wenigen Orten lässt sich das Verschwinden der Gletscher dabei so gut beobachten wie an der Pasterze. Von der Franz-Josefs-Höhe an der Großglockner Hochalpenstraße lässt sich der Rückgang für jedefrau und jedermann nachvollziehen, ohne selbst in die Berge steigen zu müssen.
Warmer Sommer
2021 hat der mit rund acht Kilometern längste Gletscher der Ostalpen im Mittel 4,3 Meter an Höhe und rund zehn Millionen Kubikmeter an Masse verloren. Nach dem niederschlagsarmen Winter und dem warmen, strahlungsintensiven Sommer könnten heuer bis zu 15 Millionen Kubikmeter Eis abschmelzen, schätzt Kellerer-Pirklbauer. Er hat Anfang der Woche mit einem kleinen Team drei Tage lang den Gletscher vermessen. Mit Maßbändern, Differential-GPS und in unzugänglichen Teilen auch mit einer Drohne wurden Umfang und Länge, aber auch die Höhenveränderung und die Fließgeschwindigkeit des Eises dokumentiert. Für Letzteres werden rot beschriftete Steine auf das Eis gelegt – und im Folgejahr erhoben, wie weit sie gedriftet sind. Sofern sie nicht in einer Spalte verschwunden sind oder von Schmelzwasser mitgerissen wurden – was mitunter passieren kann.
See, der sich gebildet hat, erschwert Messungen
Seit 1891 erhebt der ÖAV jedes Jahr die Länge der heimischen Gletscher. Dazu rückten heuer Ende August und Anfang September zwei Dutzend ehrenamtliche Beobachter und ihre Helfer aus, in Summe 60 bis 70 Männer und Frauen. Im Vorjahr haben sie an 91 heimischen Gletschern Änderungen beobachtet. An 79 davon wurde tatsächlich gemessen, bei den weiteren wurden zumeist Fotovergleiche herangezogen.
Kondition und bergsteigerische Erfahrung sind für die Arbeit im Eis kein Nachteil. Unterhalb der Pasterze hat sich vor bald 15 Jahren ein See gebildet, der die Messungen deutlich erschwert. Um manche Teile des Gletschers zu erreichen, müssen Gletscherbäche gequert werden - ein im eiskalten Schmelzwasser nicht immer ungefährliches Unterfangen. Teile der Gletscherzunge sind zudem "schmutzig", also von Schutt bedeckt. "Dadurch lässt sich schwer abschätzen, wo das Eis beginnt", so Kellerer-Pirklbauer. Außerdem hat der auf dem Eis liegende Schutt Wirkung auf das Abschmelzen. Fingerbreit beschleunigt er die Schmelze, aber schon zehn Zentimeter Überdeckung verringern den Schwund um die Hälfte. Was dazu führt, dass stark mit Geröll bedeckte Bereiche langsamer fließen - was die Spannungen im Eis erhöht.
"Können nichts mehr dagegen machen"
Die Wissenschafter zeigten sich nach Abschluss der Messarbeiten an der Pasterze überzeugt, dass der Gletscherrückgang in Österreich zwar noch Jahrzehnte dauern werde. "Aber wir können nichts mehr gegen ihn machen", erklärte Gerhard Lieb. Die Gletscherlandschaften, wie sie heute noch zu finden sind, werden verloren gehen. Doch wenn schon nicht die Gletscher, dann sollte man zumindest die restliche Welt vor den Folgen des Klimawandels retten, betonte Lieb.