Besorgniserregend sind die steigenden Zahlen von angezeigten Sexualstraftaten in ganz Österreich, alarmierend die diesbezügliche Rolle Kärntens: Wie einer parlamentarischen Anfragebeantwortung von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zu entnehmen ist, sind die angezeigten "strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung" österreichweit von 6070 aus dem Jahr 2020 auf 6486 im Vorjahr gestiegen, das entspricht einer Steigerung von 6,9 Prozent. In Kärnten ist von 2020 auf 2021 sogar ein Sprung um 37 Prozent bzw. von 327 auf 448 Fälle zu verzeichnen – das entspricht 121 zusätzlichen Anzeigen!
Einige Bezirke erweisen sich als extreme Ausreißer: In Hermagor (3 Anzeigen 2020/12 Anzeigen 2021) hat sich die Zahl der Anzeigen vervierfacht, in Feldkirchen (+44 Anzeigen) verdreifacht. Auch die Bezirke Klagenfurt-Land (+15 Anzeigen), Villach-Land (+20) und Wolfsberg (+10 Anzeigen) sind Hotspots. Betrachtet man die Delikte, so entfallen die meisten Anzeigen auf pornografische Darstellung Minderjähriger: 162 Fälle gab es im Vorjahr (81 im Jahr 2020). 98 Anzeigen gab es wegen sexueller Belästigung (+12 Fälle), 49 wegen Vergewaltigung (+13 Fälle), 32 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (+3 Fälle) und 25 Anzeigen wegen sittlicher Gefährdung von Personen unter 16 Jahren (+15 Fälle).
Corona als Auslöser
Sylvia Klee, Leiterin des Bereichs Sexualdelikte im Landeskriminalamt Kärnten, nennt mehrere Gründe für diese Zahlen: "Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen gingen zahlreiche Partys Jugendlicher einher, bei denen viel Alkohol konsumiert wurde. Da hagelte es Anzeigen wegen Vergewaltigung und geschlechtlicher Nötigung. Betroffen waren hauptsächlich junge Frauen zwischen 14 und 18 Jahren."
Außerdem hätten sich in der Pandemiezeit sehr viele Opfer bei Gewaltschutzzentren gemeldet und Anzeigen erstattet, bei denen der Missbrauch Jahre bzw. teilweise sogar bis in die Kindheit zurückliegen würde. Das bestätigt Roswitha Buchner vom Gewaltschutzzentrum. "Immer mehr Opfer gehen in die Beratung, suchen Unterstützung. Sie wissen, dass sie ernst genommen werden und auch eine Prozessbegleitung bekommen", so Buchner.
Diese Sensibilisierung spricht Klee auch in anderen Bereichen an: "Die Aufklärungskampagnen von Medien und Politik fruchten. In Kinderbetreuungsstätten oder im betreuten Wohnen wird vermehrt Augenmerk auf sexualisiertes Verhalten gelegt."
"Kein Schamgefühl"
Was die sexuelle Darstellung von Kindern und Jugendlichen betrifft, so kann die Polizei die Anzeigen aktuell kaum abarbeiten. "Die Zahl steigt stetig an", so Klee. Immer mehr Jugendliche werden aber selbst zum Täter. "Durch den erleichterten Zugang zu sozialen Medien werden Nacktbilder inzwischen ohne Schamgefühl hin- und hergeschickt und geteilt. Und man darf nicht vergessen, dass Unter-14-Jährige als strafunmündig gelten", so Klee. Astrid Liebhauser von der Kinder- und Jugendanwaltschaft Kärnten ergänzt: "Studien belegen ja, dass während der Pandemie noch mehr Kinder und Jugendliche in diese soziale Medien hineingerutscht sind."
Warum ausgerechnet in Kärnten die Zahl aller Anzeigen explodiert ist, weiß Chefinspektorin Klee nicht. "Wir können nur jeder Anzeige nachgehen." Die Bilanz stimmt, 90,8 Prozent der Delikte wurden 2021 aufgeklärt (+0,6 Prozent im Vergleich zu 2020), 134 Tatverdächtige geschnappt (+40 Prozent im Vergleich zu 2020).
Thomas Martinz