Ein 52-jähriger Familienvater, der jahrelang als Fahrlehrer in einer Fahrschule in Feldkirchen gearbeitet hat, steht im Verdacht, während seiner Tätigkeit zahlreiche Fahrschülerinnen sexuell belästigt zu haben. Laut Lisa Sandrieser, Sprecherin der Landespolizeidirektion Kärnten, sind mittlerweile mehr als 40 mögliche Opfer im Alter zwischen 15 und 24 Jahren namentlich bekannt. Einige haben bereits ihre Aussage vor der Polizei gemacht, weitere Einvernahmen laufen derzeit.
Ein betroffenes Mädchen hatte sich Ende Feber dem Fahrschulbesitzer anvertraut und damit eine Lawine ausgelöst - die nach derzeitigem Ermittlungsstand ihren Anfang im März 2015 hat. Nachdem das mögliche erste Opfer sein Schweigen gebrochen hat, wollen jetzt auch die anderen reden.
Opfer sexueller Gewalt schweigen oftmals viele Wochen, Monate und sogar Jahre. Ein Beispiel: Eine Kärntnerin wurde als Kind vergewaltigt. 23 Jahre später brachte sie ihren Täter ins Gefängnis. Den Täter anzuzeigen, habe ihr Leben gerettet, sagt sie heute. Das Schweigen hat nachvollziehbare Gründe und ist nicht ungewöhnlich. "Die Hauptursache dafür ist Scham", sagt Roswitha Bucher, Leiterin des Gewaltschutzzentrums Kärnten. "Was bei sexueller Belästigung noch mitschwingt ist, dass sich Opfer oftmals selbst die Schuld geben. Es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr." Außerdem würden viele Opfer nicht wissen, was man unter sexueller Belästigung überhaupt verstehe. Bei Abhängigkeitsverhältnissen, wie im Fall des Fahrlehrers, kommt hinzu, dass die Fahrschülerinnen den Führerschein haben wollen und Angst vor negativen Konsequenzen haben, wenn sie sich beschweren.
"Grundsätzlich hat niemand das Recht, einen anderen an einem Körperteil anzugreifen, wenn dieser es nicht will", sagt Bucher. "Opfer fragen sich oft, ob sie zur Belästigung etwas beigetragen haben. Kein Opfer hat dazu beigetragen". Wenn ein Opfer sein Schweigen bricht, reden auch die anderen. Das sei nicht ungewöhnlich, sagt Bucher. Da gehe es um das Wissen und das Gefühl, dass es auch anderen passiert ist und man nicht alleine ist.
Zu starkes Schamgefühl
Auch Natalia Russinova von der Verbrechensopferhilfe Weisser Ring sagt, dass vor allem Scham der Grund für das Schweigen ist. Zusätzlich hätten Opfer häufig Angst, sich dem Prozedere vor der Polizei und am Gericht auszusetzen, wo sie über das Erlebte detailliert reden müssen. Viele wollen dem Täter auch keinesfalls mehr begegnen. "Immer wieder kommt es deshalb auch vor, dass Opfer ihre Anzeige zurückziehen", sagt Russinova. Beide Expertinnen appellieren an Opfer von sexueller Gewalt, ihr Schweigen zu brechen. Selbst wenn der Weg danach kein leichter ist.
Der mittlerweile entlassene Fahrlehrer wird wegen des Verdachts auf sexuelle Belästigung auf freiem Fuß angezeigt. Wie sich der Verdächtige verantworten wird, ist noch unklar. Für den Mann gilt die Unschuldsvermutung.
Claudia Odebrecht