Es hätte für ein von Kärntnern geführtes Cafe im achten Wiener Gemeindebezirk eigentlich ein coronakonform feierlicher Abschied in den zweiten Lockdown werden sollen. Das Lokal ist gut gefüllt, es gibt Freigetränke, die Stimmung ist ausgelassen. Gegen 20 Uhr legen die Gäste ihren Fokus schlagartig von ihren Sitznachbarn auf die Smartphones. "Am Schwedenplatz sind Schüsse gefallen", liest eine Frau die auf dem Bildschirm aufpoppende Nachricht laut vor. Dann geht alles ganz schnell. Der Gastgarten leert sich, das Treiben auf den Straßen wird hektischer. Straßenbahnen und Taxis, die aus dem Zentrum hinausfahren, werden fluchtartig aufgesucht. Meist im Laufschritt. "Wir können jetzt vernünftigerweise nur eines machen, so wie die Polizei es empfiehlt. Wir bleiben im Cafe", sagt der Pörtschacher Alexander Bayer, der eigentlich nur noch auf ein letztes Bier vor der vorrübergehenden Schließung gehen wollte.
Draußen sieht man kaum noch Fußgänger, auch zur U-Bahn will sich keiner so recht trauen. Dafür wird es lauter. Polizeifahrzeuge rauschen im Minutentakt in alle Richtungen, auch die Gerüchteküche brodelt. Auch Bayer, der wie alle im Lokal schon zahlreiche Whattsapp-Nachrichten besorgter Verwandter und Freunde beantwortet, wird langsam unruhig. Nachrichten über vermeintliche Geiselnahmen ganz in der Nähe des Lokals, auf der Mariahilfer Straße und beim Schottentor machen die Runde.
Um 23 Uhr sollte Sperrstunde sein, ab Mitternacht gilt der Lockdown. Das interessiert heute eher sekundär. Leute stürmen ins Lokal, das eigentlich schon zumachen hätte sollen. "Wir müssen jetzt offen lassen, da kommen Leute, die sagen, dass sie Angst haben und Unterschlupf suchen", brüllt ein verzweifelter Kellner. Aufbrechen will keiner so richtig, wenngleich die Sehnsucht nach Sicherheit, nach den eigenen vier Wänden wächst. "Es sind keine Taxis mehr zu bekommen", seufzt Bayer. Der Fußweg nach Hause ist zu weit, öffentlich scheint er zu riskant. Eine befreundete Studenten-WG in unmittelbarer Nähe gewährt Unterschlupf. An Schlaf ist nicht zu denken, gemeinsam werden bis tief in die Nacht Nachrichten und Pressekonferenzen verfolgt.
Dienstag: Wien erwacht langsam
Am nächsten Morgen ist die Stimmung gedämpft, immer mehr Details zum Anschlag werden bekannt. "Es ist ein Wahnsinn, dass so etwas bei uns passiert", bleibt man fassungslos zurück. Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Wien steht wieder auf. Wien steht gemeinsam auf. Öffentliche Plätze außerhalb des ersten Bezirks und Verkehsmittel werden genutzt. Aber alles scheint langsam, wie in Zeitlupe. Der Schock sitzt tief, das Gefühl ist mulmig. "Passt bitte auf euch auf", geben die Studentinnen uns für den Heimweg mit. "Das war wirklich kein Spaß. Kopf hoch, komm gut durch den Lockdown", klopft man sich gegenseitig auf die Schultern, verabschiedet sich und geht.
"Ich hatte großes Glück"
Für den Feffernitzer Lukas Kapun gestaltete sich der Abend zum Glück anders, als geplant. "Eigentlich wollte ich mit einem Freund noch etwas trinken gehen. Und ich kenne eigentlich nur Lokale am Schwedenplatz, da ich auch noch nicht so lange in Wien wohne. Wir wären fix zu der Zeit dort gelandet. Aber es ging mir schon den ganzen Tag nicht so gut, da habe ich dem Freund abgesagt, und bin noch kurz vor dem Anschlag mit der U-Bahn durch den ersten Bezirk nach Hause nach Favoriten gefahren. Ich hatte großes Glück", atmet der Fernsehkommentator von Puls24 auf. "Schlafen konnte ich aber nicht, war bis 2 Uhr wach. Man sah Autos, hörte Sirenen und auf der Straße auch panisch schreiende Menschen. So froh ich war, zu Hause zu sein, so unangenehm war die ganze Situation. Es ist einfach schrecklich und war so beklemmend", fügt er an.