Mit 66 fängt vielleicht für andere „das Leben“ an. Otto Retzer ist mit seinen 72 Jahren, die man dem Glatzkopf frisurbedingt kaum abnimmt, weit davon entfernt, die wilde Pensionistenhymne anzustimmen. Partys hat der Kärntner Regisseur und Berufspromi schon genug gefeiert, jetzt probiert er es mit Stress. „Sie werden es nicht glauben, aber ich habe noch nie so viel gearbeitet wie jetzt“, brummt Retzer. Der König des Klamauks („Ein Schloss am Wörthersee“) ist ins ernsthafte Fach gewechselt und produziert gemeinsam mit Wolfram Winkler für ServusTV die Dokumentationsreihe „Legenden“, die nun mit dem Porträt eines Musikers von Weltrang fortgesetzt wird: Udo Jürgens.
Retzer zeichnet in der Sendung ein ganz persönliches Porträt des Chansonniers, der am 21. Dezember 2014 im Alter von 80 Jahren in der Schweiz verstorben ist. Die beiden Kärntner kannten sich, seit Udo Jürgen Bockelmann als Jugendlicher im Klagenfurter Tanzcafé Lerch für ein paar Schilling pro Stunde Klavier spielte. Im selben Lokal begann Retzer 1961 seine Lehre als Koch und Kellner. Die Burschen wurden Freunde, ihr enger Kontakt sollte bis zum Tod des Sängers nicht mehr abreißen. „Es ist für mich nicht einfach gewesen, diesen Film über Udo zu machen“, gibt der Regisseur zu. Er kennt die Dokumentation mittlerweile auswendig, hat die Szenen und das fertige Werk x-mal gesehen - trotzdem musste er bei der Vorpremiere am Dienstag wieder weinen.
Natürlich gehören auch Retzer-Anekdoten wie diese dazu: 1993 hatte der Filmemacher mit Szenegastronom Rainer Husar die Idee, auf dem legendären Monte-Carlo-Platz in Pörtschach eine Veranstaltung à la „Stars in der Manege“ steigen zu lassen. Das Finale des Abends sollte Udo Jürgens mit seinem Song „Der Zirkus darf nicht sterben“ bestreiten. „Er hat mir das versprochen, aber es erst danach seinem Manager erzählt. Der ist ausgeflippt, weil er genau gewusst hat, dass er von uns dafür kein Geld sehen wird“, erinnert sich Retzer. Jürgens versuchte, den Auftritt deshalb abzusagen, aber sein Freund roch den Braten. „Ich bin einfach untergetaucht. Es hat ja damals zum Glück noch keine Handys gegeben.“ Schließlich kam der Sänger, der den Filmemacher tagelang sogar per Motorboot rund um den Wörthersee verzweifelt gesucht hatte, wie vereinbart ins Zirkuszelt, setzte sich an den Flügel und sang nicht nur das eine vereinbarte Lied. „Er hat eine Zugabe nach der anderen gegeben.“
Wegbegleiter wie Bandleader Pepe Lienhard und Manager Freddy Burger erzählen in Retzers Dokumentation, wie perfektionistisch der Künstler war, wenn es um seine Musik ging: Er hasste Unpünktlichkeit, scheute sich nicht davor, auch Prominente mit Verspätung öffentlich zu maßregeln, und feilte mit seinem Team oft tagelang an Texten und Melodien. „Udo hat einfach gewusst, was funktioniert“, sagt Lienhard. Jürgens komponierte mehr als 1000 Lieder und verkaufte mehr als 100 Millionen Tonträger. Er gilt als bedeutendster deutschsprachiger Entertainer des 20. Jahrhunderts. „Mich ärgert es bis heute, wenn man ihn ins Schlagereck rückt. Ein Teil des Films ist deshalb ganz bewusst der Bedeutung gewidmet, die viele seiner Songs bis heute haben“, erklärt Retzer.
Den ganz privaten Udo Jürgens beschreiben in der Dokumentation seine Kinder Jenny und John. „Natürlich ist er nicht oft da gewesen. Dafür war die kurze gemeinsame Zeit eine sehr intensive“, sagt John Jürgens. Die manchmal recht unkonventionellen Familienverhältnisse schildert Jenny Jürgens als harmonisch: „Wir haben dann eben zu sechst Spaghetti gegessen, Papa mit Freundin, Mama mit Freund und wir Kinder. Wir hatten Spaß. Das sind ja alles tolle Menschen gewesen.“ Vor Retzers Kamera sprechen John und Jenny erstmals auch über den Tod ihres Vaters. Jenny sah damals auf dem Flug nach Zürich eine Sternschnuppe: „Ich hab in dem Moment gedacht, dass das der Papa ist, der sich von mir verabschiedet.“
Udo Jürgens starb in den Armen von Billy Todzo. Als Mitglied der Pepe-Lienhard-Band stand er seit 1978 nicht nur gemeinsam mit dem Kärntner auf der Bühne, sondern war auch sein Chauffeur und Vertrauter. Am 21. Dezember 2014 begleitete er den Sänger auf einem Spaziergang entlang der Uferpromenade des Seerheins in der Ortschaft Gottlieben, als der 80-Jährige plötzlich zusammenbrach. „Udo hat noch einmal meinen Namen gesagt, aber das war schon nicht mehr seine Stimme“, erzählt Todzo. Als Todesursache sollte man später im Spital Herversagen feststellen. Knapp drei Jahre danach hat sich der in Ghana geborene Musiker die Trauer in einem Song von der Seele geschrieben. Er heißt „I Lost a Friend“ („Ich verlor einen Freund“) und klingt natürlich ein wenig nach Udo Jürgens.
Die Musik des Kärntners ist nach wie vor omnipräsent - ob als „Ich war noch niemals in New York“ im Radio, als „Griechischer Wein“ zu später Stunde im Szenelokal oder im Fernsehen als „Vielen Dank für die Blumen“ zur Einbegleitung von „Tom und Jerry“. Wahrscheinlich kommt daher das Gefühl, das Todzo so beschreibt: „Er ist immer noch da.“ Deshalb ist die Dokumentation kein Nachruf, sondern eine Hommage im besten Sinn, die Retzer am Ende ganz persönlich auf den Punkt bringt: „Merci, Udo! Ich danke dir, mein Freund."