Nebel, Dunkelheit, Polizeiautos. Es waren Szenen wie aus einem Schwedenkrimi, die sich Freitagabend in Knappenberg in der Mittelkärntner Gemeinde Hüttenberg abgespielt haben. Doch es ging nicht um ein fiktives Drehbuch, sondern um bittere Realität: Nach der tödlichen Schießerei Ende August wurde am Freitag eine Tatrekonstruktion durchgeführt. Und zwar direkt am Tatort – beim Haus eines 43-jährigen Mannes aus Knappenberg. Er hat am späten Abend des 22. August einen 36 Jahre alten Kärntner mit einem Flobert-Gewehr erschossen.
Verhandlung mitten in der Nacht
Der Lokalaugenschein dauerte von 16 bis 22 Uhr. „Zuerst wurde die Tat bei Tageslicht nachgespielt, dann noch einmal in der Dunkelheit, um die originalen Lichtverhältnisse zu haben“, sagt Philipp Tschernitz, der Anwalt des Verdächtigen. Was dann – nach dem Lokalaugenschein – in der Nacht geschah, hat selbst routinierte Anwälte überrascht.
„Um 22.15 Uhr hat der Haftrichter alle aufgefordert vom Tatort in Knappenberg ins Landesgericht Klagenfurt zu fahren“, sagt Tschernitz. Dort führte der Richter spät nachts eine Haftverhandlung durch und entschied den Schützen zu enthaften. Weil kein dringender Mordverdacht mehr bestünde, so die Staatsanwaltschaft. „Etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht wurde mein Mandant aus der Untersuchungshaft entlassen“, sagt Tschernitz.
Brisantes Gutachten
Der Mann hatte von Anfang an gesagt, dass er den 36-Jährigen nicht töten wollte. Das Opfer habe in das Flobert-Gewehr gegriffen, dann fiel der tödliche Schuss. „Alle Varianten wurden bei der Tatrekonstruktion nachgestellt. Laut Gutachter soll sich das Opfer vor dem Lösen des Schusses zum Tatverdächtigen gebeugt haben. Nur so lässt sich der Schusswinkel erklären“, berichtet Tschernitz. Somit hat das Gutachten die Aussage des Verdächtigen gestützt, was zur plötzlichen Enthaftung geführt hat.
Der Beschuldigte hat stets gesagt, dass er sich bedroht gefühlt habe. Er, sein um wenige Jahre jüngere Stiefsohn und das spätere Opfer waren vor der Bluttat gemeinsam mit anderen Personen in einem Gasthaus in Hüttenberg. Dort hat es zwischen einigen Beteiligten Streit gegeben. Zwei Mal kam sogar die Polizei. Danach fuhr der 43-Jährige zu sich nach Hause. Sein Stiefsohn, das spätere Opfer – er war ein Freund des Stiefsohns – und eine dritte Person folgten dem 43-Jährigem zu seinem Haus. Warum, das ist noch unklar. Fest steht, dass der 43-Jährige mit einem Flobert-Gewehr vor die Türe trat. Er soll seine Kontrahenten aufgefordert haben, das Grundstück zu verlassen. Dann kam es zum Schuss, mit dem schrecklichen Ausgang.
So geht es weiter
Die Staatsanwaltschaft (StA) hat keine Beschwerde gegen die Entlassung des Beschuldigten aus der U-Haft eingebracht. Der Mann steht aber formell weiterhin unter Mordverdacht – noch. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich das bald ändern wird und gegen den 43-Jährigen „nur“ noch wegen grob fahrlässiger Tötung ermittelt. „Wir warten auf die Verschriftlichung der Tatrekonstruktion und den schriftlichen Freilassungsbescheid“, sagt StA-Sprecher Markus Kitz.
Freispruch ist das freilich keiner. Es ist davon auszugehen, dass Philipp Tschernitz als Verteidiger des Beschuldigten jetzt auf Notwehr oder auf Notwehrexzess beziehungsweise Notwehrüberschreitung setzen wird. Sein Mandant sei „wegen allem, was passiert ist, völlig fertig“, betont der Anwalt.
„Völlig unverständlich“
Fertig und entsetzt sind auch die Angehörigen des 36-jährigen Opfers. „Für die Hinterbliebenen ist es völlig unverständlich, dass der mutmaßliche Täter freigekommen ist“, sagt Rechtsanwalt Christian Kleinszig, der die Opfer (Eltern und Schwester des Getöteten) vertritt. Diese haben auch „massive Zweifel an der Richtigkeit der Schilderung der Tat“.
So habe der mutmaßliche Täter bei seiner ersten Befragung durch die Polizei den Tathergang anders geschildert und nicht ausgesagt, dass das Opfer am Gewehrlauf ruckartig gezogen habe, so Kleinszig. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung und sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass jemand, der sich bedroht fühlt, einen auf sich gerichteten Gewehrlauf ruckartig noch näher an sich heranzieht. „In einer derartigen Situation wäre viel mehr zu erwarten, dass der Bedrohte den Gewehrlauf wegschiebt oder versucht aus dem Schussfeld zu gelangen“, sagt der Anwalt.
Für den 43-Jährigen gilt die Unschuldsvermutung.