„Jetzt fahr‘ ich zu meinem Schwiegersohn und den prack‘ ich nieder.“ Als Martin Hochegger eines bereits weit vorgeschrittenen Abends den Hörer seines Telefons abnimmt, erkennt er sofort die Gewaltbereitschaft in der Stimme des Mannes am anderen Ende der Leitung. „Ich bin Boxer. Der soll meine Tochter in Ruhe lassen“, poltert der Mann weiter. Hochegger ist Psychotherapeut, angerufen wurde aber nicht er persönlich, sondern der Männernotruf, dem er als Obmann und Leiter vorsteht.
Der Verein existiert mittlerweile seit über zehn Jahren, 40 ehrenamtliche Mitarbeiter – aktuell kommen zwei aus Kärnten, bald sind es drei – sorgen dafür, dass der Notruf 24 Stunden, sieben Tage die Woche unter der kostenlosen Nummer 0800 246 247 erreichbar ist. Die Devise lautet: von Mann zu Mann. Denn die Mitarbeiter sind tatsächlich alle selbst Männer im Alter zwischen 28 und 78 Jahren aus verschiedenen Berufsgruppen: Therapeuten, Sozialarbeiter und -pädagogen, Mediatoren, aber auch Juristen und Vermögensberater. „Wichtig ist vor allem Lebenserfahrung. Und eine psychosoziale Ausbildung“, sagt Hochegger.
Mitarbeiter gesucht
Im Moment suche man noch Mitarbeiter mit Migrationserfahrung, denn auch immer jüngere Männer und unter ihnen einige mit Migrationshintergrund (vor allem in zweiter und dritter Generation) melden sich beim Männernotruf. „Sie tun sich oft schwer, mit dem traditionellen Rollenbild zurechtzukommen, können aber schlecht mit ihren Kumpels darüber sprechen“, so Hochegger.
Auch Frauen rufen an
Alleine im Mai dieses Jahres erfolgten beim Notruf 531 Kontaktaufnahmen von hilfesuchenden Anruferinnen und Anrufern. Was überrascht: Rund 20 Prozent waren weiblich. Vor allem ging es bei diesen Anrufen aber um Hilfe im Umgang mit männlichen Angehörigen, die etwa ihre Medikamente nicht mehr eingenommen hatten und unberechenbar wurden. „Manche wollen aber einfach wissen, wie Männer ticken“, erklärt der Obmann.
In über der Hälfte der Fälle geht es um Beziehungen und Gewalt. In den seltensten Fällen jedoch um Gewalt von Frauen gegen Männer, wobei auch diese in den letzten Jahren zugenommen haben, sagen die ehrenamtlichen Mitarbeiter. Öfter drohen Männer jedoch Frauen, aber auch anderen Männern, ihnen Gewalt anzutun. Immer wieder richte sich die Gewaltbereitschaft auch gegen sie selbst. Hochegger: „80 Prozent der Suizide werden von Männern ausgeführt.“
Instabile Arbeitswelt
Die angesprochenen Themen drehen sich aber ebenso um Einsamkeit, Alkohol und andere Süchte, Obsorge für Kinder, Finanzen, rechtliche Fragen oder Arbeit. Letzteres entspricht dem Zeitgeist: „Die Arbeitswelt ist geprägt von Instabilität, viele sind unsicher oder überfordert“, weiß der Kärntner AMS-Chef Peter Wedenig, der sich dafür einsetzt, den Männernotruf in Kärnten bekannter zu machen.
Und manch einer weiß einfach nicht, an wen er sich wenden soll. „Ich habe einmal mit einem Priester gesprochen, der mit niemandem über seine Homosexualität sprechen konnte. Ihm hat es schon geholfen, einfach einmal darüber reden zu dürfen“, berichtet Soziologe Franz Höllinger von einem seiner Telefonate.
Schach statt Gewalt
Und wie ging das Telefonat mit dem eingangs erwähnten Boxer aus? „Ich habe ihn gefragt, was er sonst tue, wenn er wütend sei“, erinnert sich Hochegger. Als dieser antwortete, er spiele Schach, schlug ihm der Psychotherapeut einen Handel vor. Er solle sich als strategischer Schachspieler überlegen, wer in seinem Fall denn gewinnen würde, wenn sein Schwiegersohn im Krankenhaus und er im Gefängnis landen würde. „Ich sagte, ich spiele mit ihm eine Runde Schach, wenn er es sich anders überlegen würde.“ Eine Woche nach dem Anruf trafen sich die Männer tatsächlich zu einem Spiel.