Telefonbetrug ist ein skrupelloses Geschäft, das gezielt menschliche Schwächen ausnutzt. Die Anrufe passieren nicht spontan und zufällig, sondern dahinter steckt eine gut organisierte kriminelle Struktur, die auf Arbeitsteilung und präziser Koordination beruht. Während die Opfer um ihre Ersparnisse gebracht werden, verdienen die Drahtzieher Millionen und führen ein luxuriöses Leben. Die hinter den Betrügereien stehenden Familienclans verfügen über ein meist internationales Netzwerk von Hunderten von Verwandten und Bekannten, wie das deutsche Medium „Spiegel TV“ in der Podcast-Reihe „Im Verhör: Schockanrufe“ aufzeigt. Die familiären Bindungen nutzen sie, um Loyalität und Diskretion zu gewährleisten. Die Clans operieren in verschiedenen Ländern, was Ermittler vor besondere Herausforderungen stellt. Ein Blick hinter die Kulissen der kriminellen Maschinerie des Telefonbetrugs.

Die Callcenter

Die Schaltzentralen für die Schockanrufe sind Callcenter, von denen aus die sogenannten „Keiler“ (“Caller“, Anrufer) operieren. Die eigens für die Callcenter angemieteten Räumlichkeiten befinden sich nach derzeitigen Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes im Ausland - häufig in Polen und der Türkei - und sind so organisiert, dass sie schwer auffindbar und kaum rückverfolgbar sind. Die Keiler arbeiten dort wie in einem normalen Büro, ausgestattet mit Telefonen, Computern und vorbereiteten Skripten. Sie sind geschult in Rhetorik, intelligenter Gesprächsführung und Manipulation. „Hinweise auf Callcenter in Österreich gibt es aktuell nicht“, sagt Thomas Lukasch vom Bundeskriminalamt.

Der Keiler

Der Keiler ist die zentrale Figur beim Telefonbetrug. Er stellt den Kontakt zu den potenziellen Opfern her. Er gibt sich als Polizist, Rechtsanwalt, Richter oder Staatsanwalt aus. Meist spricht er perfekt Deutsch. Sein Ziel: Die Opfer mit Schockgeschichten über angebliche Einbrüche, Unfälle oder verhaftete Familienangehörige in Angst und Schrecken zu versetzen und zur Herausgabe von Geld oder persönlichen Daten zu bewegen. Die Manipulation soll so geschickt sein, dass die Opfer oft ohne nachzudenken handeln. Ein guter Keiler kann innerhalb der Organisation Karriere machen.

Der Abholer

Sobald der Keiler Erfolg hat und das Opfer bereit ist, Geld oder Wertsachen zu übergeben, kommt der Abholer ins Spiel. Dabei handelt es sich meist um einen jüngeren Komplizen, der die Wertsachen abholt. Er gibt sich meist als vertrauenswürdiger Bekannter des vermeintlichen Anwalts oder Polizisten aus. In vielen Fällen finden die Übergaben an öffentlichen Orten wie Parkplätzen oder sogar direkt vor der Haustür des Opfers statt, um die Hemmschwelle zu senken. Der Abholer trägt das größte Risiko und kennt daher die nächste Ebene in der Organisation nicht. „Die Abholer werden häufig in sozialen Netzwerken rekrutiert“, sagt Lukasch. In der Regel werden hier falsche Jobbeschreibungen vorgetäuscht.

Der Logistiker

Der Logistiker ist der Strippenzieher im Hintergrund, das Gehirn der Operation. Er koordiniert die Einsätze der Keiler und Abholer und sorgt dafür, dass die Beute schnell und sicher aus dem Verkehr gezogen wird. Logistiker sind oft selbst Teil größerer Familienclans, die diese kriminelle Aktivität als Haupteinnahmequelle nutzen. Sie sorgen für den Weiterverkauf der gestohlenen Ware und bezahlen die Beteiligten.

Millionengeschäft

Laut Bundeskriminalamt wurde im Vorjahr bundesweit allein mit Polizei- und Kautionstrick ein Schaden von 20 Millionen Euro bei über 300 Taten verursacht. Auf Kärnten entfallen davon neun Taten und 1,2 Millionen Schaden. Heuer liegt man bundesweit aktuell bei 87 Taten und einem Schaden von rund vier Millionen Euro. In Kärnten gibt es fünf angezeigte Fälle und einen Schaden von rund 220.000 Euro. Insgesamt sind 1600 Taten (inklusive Versuche) angezeigt.

Clanboss führt Luxusleben

Der Pole Arkadiusz „Hoss“ Lakatosz (55) soll zusammen mit seinen Brüdern und seinem Schwager Ende der 1990er Jahre in Hamburg den „Enkeltrick“ erfunden haben. Seitdem gilt er als Kopf der „Enkeltrick-Mafia“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz und hat ein weltweit operierendes Familienimperium aufgebaut. Mehr als eine Milliarde Euro soll er bereits ergaunert haben, haben Recherchen von Spiegel TV ergeben haben. Der Clanchef gilt wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten als Koryphäe am Telefon. Er wurde mehrfach verhaftet, aber immer wieder freigelassen. 2020 wurde er nach einer erneuten Verhaftung wieder auf freien Fuß gesetzt. Das Bundeskriminalamt gibt keine Auskunft über Lakatosz.

Aktuelle Betrugsmaschen

War es früher der klassische Enkeltrick, setzen kriminelle Clans heute auf Schockanrufe. Dabei werden sie immer einfallsreicher. In Kärnten wird derzeit häufig der Kautionstrick versucht, teilt Bernhard Unterwalcher von der Kriminalprävention im Landeskriminalamt mit. Ein falscher Polizist behauptet, ein Familienmitglied hätte einen tödlichen Unfall verursacht und nun eine Kaution sei nötig. Im Hintergrund hört man kurz ein Weinen. Viele sind in diesem Moment so geschockt, dass sie nicht klar denken können. Doch gerade jetzt gilt es, das Gespräch auf eine sachliche Ebene zu bringen. „Man sollte sich Zeit verschaffen und zum Beispiel Fragen stellen“, sagt Unterwalcher. Etwa: Darf ich zurückrufen? Darf ich mit meinem Kind sprechen? Und es fällt einem vielleicht Folgendes ein: Dass Polizisten/Staatsanwälte nach einem Unfall anrufen und eine Kaution anbieten, um U-Haft zu vermeiden, ist rechtlich und faktisch unmöglich und somit laut Staatsanwaltschaft Klagenfurt ein absoluter Blödsinn.

„Auch Betrugsversuche sollten unbedingt angezeigt werden“, sagt Präventionsexperte Bernhard Unterwalcher vom Landeskriminalamt
„Auch Betrugsversuche sollten unbedingt angezeigt werden“, sagt Präventionsexperte Bernhard Unterwalcher vom Landeskriminalamt © KLZ / Claudia Beer-Odebrecht

Eine Betrugsmasche, die laut Unterwalcher derzeit in Kärnten ebenfalls verstärkt auftritt, zeigt die rasante Entwicklung der Täter: Von Callcentern aus werden mit einem speziellen Computerprogramm automatisch Telefonnummern angerufen. Am Display erscheint eine österreichische Nummer, die entweder gestohlen oder mit technischen Mitteln gefälscht wurde, sodass sie nicht rückverfolgbar ist. Die potenziellen Opfer heben ab und werden nun mit einer Tonbandstimme bzw. KI-Stimme konfrontiert, die sich z. B. als Mitarbeiter von Microsoft, Paypal etc. ausgibt. Es wird etwa behauptet, der Computer sei mit einem Virus infiziert. Das Opfer wird aufgefordert, eine bestimmte Taste am Telefon zu drücken. Eine leichte Vorselektion der Opfer durch die Betrüger. Wird eine Taste gedrückt, meldet sich ein echter Keiler.

Eine neue dreiste Masche ist in der Steiermark aufgetaucht: Die Täter geben sich zunächst als Bankmitarbeiter aus. Dem Opfer wird mitgeteilt, dass jemand mit einem gefälschten Reisepass versucht habe, Geld von seinem Konto abzuheben. Die Polizei werde sich melden. Kurze Zeit später ruft der angekündigte (falsche) Polizeibeamte an. Das Opfer solle Bargeld übergeben, das präpariert werde. So könne der Täter, der mit dem gefälschten Pass am Bankschalter erschienen sei, überführt werden.

„Die Opfer werden stundenlang am Telefon gehalten“, sagt Unterwalcher. Die Täter verlangen, dass nicht aufgelegt werden darf. Die Manipulation der Opfer ist dabei so geschickt, dass keine Altersgruppe verschont bleibt. „Es kann jeden treffen“, sagt Unterwalcher. Er appelliert, unbedingt auch Betrugsversuche anzuzeigen. Denn nur so könne die Polizei vor neuen Maschen warnen.