„Ich bin mein ganzes Leben hier, jetzt bin ich 83, so was habe ich zuvor noch nie erlebt“, sagt Karl Malle vor seinem Haus am Zollfeld im Norden von Klagenfurt. Die weit entfernten Nachbarn haben sein Zuhause mittlerweile „Haus im See“ getauft. „Noch nie erlebt“, das haben wir an diesem Tag oft gehört. Das Wasser ist weg, aber die Angst, es könnte wieder kommen, ist in den Köpfen.

Wir besuchten Opfer des Unwetters „Zacharias“, das im August 2023 in Kärnten tagelang wütete. Unmengen an Regen über Wochen ließen Pegelstände und Grundwasser ansteigen. Irgendwann kamen die unweigerlichen Überflutungen, Überschwemmungen und Felsrutschungen. Alleine in Klagenfurt waren 15.000 Haushalte betroffen.

Der Wörthersee schien auf Luftaufnahmen in der Ostbucht bis in den Europapark zu reichen. Die Glan ging über, in Poppichl reichte das Wasser bis an die Häuser. In Viktring und entlang der Sattnitz kämpften Anrainer mit Pumpen gegen die Wassermassen und um ihre Existenz. In Rottenstein in der Gemeinde Goritschach in Ebenthal zerschmetterte nach einer Rutschung ein Fels ein Haus.

Wasser kam in einer Welle

Im „Haus im See“ empfangen uns Grete (76) und Karl Malle, das Ehepaar lebt hier mit seinen Kindern, ihren Partnern und Enkelkindern. Die beiden Pensionisten wurden evakuiert, als das Wasser kam. Karl musste zur Chemotherapie, wurde mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Der Schwiegersohn brachte Grete mit dem Traktor zu Verwandten ins nahe gelegene Emmersdorf. Der Rest der Familie kämpfte mit Pumpen gegen das Wasser.

„60 Zentimeter hoch stand das Wasser um unser Grundstück. Wir waren eine Insel mitten im See“, erzählt Karl. Hätte er beim Bau des Hauses das Grundstück nicht angehoben, wären sie ersoffen, sagt er. „Ein bisschen Wasser, das haben wir immer wieder gekannt, aber was da kam, war unglaublich“, sagt Grete. Das Wasser sei über Nacht in einer Welle von St. Veit gekommen: „Dann war nur mehr die Angst da, es könnte ins Haus eindringen“. Vier Tage dauerte es bis es langsam zurückging und der See vor der Haustüre verschwand.

„Psychisch am Limit“

Vier Tage und Nächte kämpfte auch das Ehepaar Pettauer um ihr Haus und ihre Existenz in einer Siedlung nahe der Sattnitz in Viktring: „Es war eine Katastrophe, wir waren am psychischen Limit“, erzählt Andrea Pettauer. 14 Tage habe es geregnet und irgendwann kam das Wasser von allen Seiten. „Wir haben kein Auge zugemacht, nicht geschlafen, drei Nächte lang nur geschaut, dass die Pumpe ständig am Laufen ist. Es war ein Ausnahmezustand für alle hier.“

In der ganzen Siedlung und etwa 30 Zentimeter hoch um ihr Haus stand Wasser. Erst nach Tagen entspannte sich die Lage, danach musste man über zwei Monate lang trocknen. „Die Angst ist groß, es könnte sich wiederholen, aber irgendwie muss man sie ausblenden, sonst lebt man nur mehr in Sorge um seine Existenz“, doch bei jedem Sturm und Regen komme die Erinnerung unweigerlich zurück, erklärt Pettauer.

Campingplatz geflutet

Ein paar größere Wasserlacken im Strandbad Klagenfurt sei man gewohnt, 2023 war aber unvergleichlich, sagt Gerald Knes, der damalige Bäderchef der Stadtwerke mit dreißigjähriger Erfahrung: “30 Zentimeter hoch stand das Wasser auf der Liegewiese. Es begann am Freitag nach tagelangen Regenfällen und fand seinen Höhepunkt am Samstag. Am Sonntag kam die behördliche Sperre, nachdem die Straße vor dem Strandbad, der Parkplatz und der Campingplatz geflutet waren. Dann waren wir für eine Woche zu“.

Erst am Dienstag ließen die Regenfälle nach, das Kanalsystem konnte die Wassermassen wieder schlucken und die Aufräumarbeiten wurden in Angriff genommen: „In den Sanitärräumen und Werkstätten stand das Wasser 20 Zentimeter hoch. Alles musste gereinigt, repariert und desinfiziert werden. Die Brücken mussten gesichert werden, weil der Wasserpegel des Wörthersees so hoch war.“ Aber der Einsatz lohnte, denn bereits am Samstag darauf konnte man aufsperren.

Bilanz: 400.000 Euro Schaden alleine im Strandbad, noch mehr am Campingplatz. Knes hat mittlerweile bei den Stadtwerken eine neue Funktion, ist Projektleiter für das neue Hallenbad, sein Nachfolger Gerald Florian hat nun die Aufgabe, das Strandbad „überflutungsfit“ zu machen: „Das Strandbad wird sich architektonisch verändern, man geht höher. Wir setzen Maßnahmen mit Niveauerhöhungen bei allen Bauprojekten, Aufschüttungen und besseren Drainagierungen, damit der Badebetrieb und der Betrieb am Campingplatz auch nach solchen Ereignissen aufrechterhalten werden kann.“ Wirkliche Entlastung werde aber nur das Projekt „Seekanalisataion Neu“ bringen. Seit 2011 angedacht, verspricht die Stadtpolitik nun den Baustart für Ende 2025.

Panzersperren vor dem Haus

Der materielle Schaden konnte nach einem Jahr größtenteils behoben werden, allerdings nicht überall: In Rottenstein hat sich seit dem Unwetter wenig getan. Wie ein Mahnmal steht der Steinbrocken heute noch da, wo er vor einem Jahr ein Haus unter sich begraben hatte. Dahinter sieht man noch große Felsbrocken drohend im Hang liegen. Zwei Familien dürfen wegen „Gefahr in Verzug“ immer noch nicht in ihre Häuser zurück.

Silvio Ambrosch vor den Panzersperren vor dem Haus seiner Großeltern.
Silvio Ambrosch vor den Panzersperren vor dem Haus seiner Großeltern. © Markus Traussnig

Silvio Ambrosch steht vor Panzersperren, das Haus seiner Großeltern liegt dahinter. Es liegt einige Meter seitlich des Hauses von Christof Aichholzer, in das der Felsen krachte. Ambrosch, angestellt bei der Gemeinde, war dabei, es zu renovieren, machte einen Zubau und wollte mit seiner Familie zu den Großeltern ziehen

.„Am Tag des Unwetters war ich gerade im Auftrag der Gemeinde mit der Feuerwehr an anderer Stelle um zu helfen, als der Anruf kam, der Hang droht abzurutschen. Wir haben dann noch alle Nachbarn und meine Großeltern rechtzeitig evakuiert.“ Lange dauerte es, bis seine Großeltern und auch seine Kinder das Erlebte verdaut hätten, erzählt Ambrosch. Noch mehr schmerzt ihn aber, dass sie seit einem Jahr in Ungewissheit über die Zukunft des Familienheims leben.

Im Stich gelassen

Christof Aichholzer vor den Ruinen seines Hauses.
Christof Aichholzer vor den Ruinen seines Hauses. © Markus Traussnig

„Seit einem Jahr ist hier nichts mehr passiert. Kein Brocken wurde mit dem Bagger bewegt. Alles was weggeräumt wurde, haben wir aus Eigeninitiative gestemmt. Wir dürfen auf polizeiliche Anordnung nicht ins Haus“, sagt Ambrosch. Ob und wann, das wisse er nicht. Es gäbe keinerlei Informationen, wie es weitergeht.

Laut Aichholzer gebe es seitens des Landes ein Projekt für einen elf Meter hohen Schutzwall über drei Grundstücke: „Auch über meines, genau über die Reste meines Hauses“, sagt Aichholzer, aber bis heute wurde mit keinem der Grundstückseigner darüber gesprochen, was sie davon halten würden. Beide fühlen sich von Politik und Behörden im Stich gelassen.

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