Monatelang wird sogar über die Reihenfolge der Schiffe debattiert, die das Inselkloster ansteuern, und für Gradeser ist es eine große Ehre, auf einem der prächtig geschmückten Schiffe mitfahren zu dürfen. Die bange Frage lautet wie jedes Jahr: Wird die Überfahrt gelingen? Denn die drei Lagunenkilometer sind von zwei Hindernissen verstellt. Als erstes wartet die altersschwache Drehbrücke, die eine Durchfahrt zwischen Hafen und Lagune ermöglicht – oder das zumindest tun sollte. Im Frühjahr, bei einer kleineren Prozession, streikte der Mechanismus, alle Würdenträger mussten unwürdig in den Hafen zurückkehren, zu Fuß zur Anlegestelle in der Nähe des großen Kreisverkehrs laufen und dort Taxiboote betreten. Nicht auszudenken, wenn das am Sonntag passieren würde!
Wind und Muskelkraft
Als zweites ist die Fahrrinne bis Barbana bedenklich knapp bemessen. Mehr als eine Handbreit Wasser ist nicht unterm Kiel, was immer wieder für blockierte Boote sorgt, besonders dann, wenn sie mit ein paar Dutzend wohlbeleibter Honoratioren in Ausgehuniform bestückt sind und noch ein paar Zentimeter tiefer liegen.
Aber zum Glück ging alles gut.
Zu den Zeiten, als man noch mit Wind und Muskelkraft navigieren musste, ruderten die Gradeser übrigens – mit reichlich Wein an Bord – schon am Samstag in Richtung Barbana, stießen dort an, legten sich im Freien zum Schlafen nieder und feierten am nächsten Tag die Messe.
Kurzum: Es ist das Fest der Gradeser, und das ist gut so. Es ist keine „sagra“ wie etwa das Spargelfest in Fossalon oder die abendlichen sardelade in der Altstadt mit frittierten Meeresfrüchten und Hauswein, also Events, die sich ganz wesentlich an die Touristen richten. Ich finde, die Prozession und alles Drumherum sollte den Einheimischen vorbehalten bleiben; Touristen dürfen gern ein paar Schritte zurücktreten und den Gradesern die erste Reihe überlassen. Es ist für viele von ihnen die letzte Gelegenheit, gemeinsam zu feiern, bevor der Trubel der absoluten Hochsaison beginnt, der apokalyptische Kampf um Parkplätze und Strandliegen und einen schattigen Tisch in der Trattoria.
Das Wochenende hatte es ohnehin in sich: Nicht nur Staatspräsident Mattarella war in Triest, sondern auch noch Papst Franziskus, just am Tage des Perdón. Viele Gradeser hofften auf einen überraschenden Blitzbesuch oder zumindest auf eine Segnung von oben, vom Hubschrauber aus, der den Papst am Nachmittag quer über den Golf von Triest zurück nach Rom brachte. Passiert ist nichts dergleichen. Aber das konnte das Feierwochenende nicht trüben; der Wein wurde auch ohne Hilfe von höchster Stelle alle.
Stefan Maiwald