„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt“ ist eine dem damaligen IBM-Chef Thomas Watson zugeschriebene, fulminante Fehleinschätzung der Zukunft. 1943 haben auch Experten nicht gesehen, dass Prozessoren zukünftig in der Hosentasche Platz finden werden. Für die Soziologin Elisabeth Varga, Keynote-Speakerin beim Primus-VOR-Zukunftstag der Kleinen Zeitung, macht Expertentum mitunter zukunftsblind. Vor steht für Verantwortung, Öffentlichkeit und Regionalität.

Die Expertin für digitale und reale Orte der Zukunft skizzierte das sich verändernde Zusammenleben. Die Wege führen in Richtung mehr Gemeinschaft. „Vor der Industrialisierung waren Wohnen und Leben nicht so separiert, wie wir das heute als selbstverständlich empfinden“, sagt Varga. Veränderungen in den Modellen der Lebensphasen bedingen auch neue Lebensräume für die Zukunft. In der Adoleszenz steigen die Möglichkeiten junger Menschen beinahe im gleichen Ausmaß wie die Zahl der Single-Haushalte. Nach der Rushhour, in der man es plötzlich eilig hat, steigen in der Phase des zweiten Aufbruchs die Scheidungsraten, während aufgrund verbesserter medizinischer Versorgung der Zeitraum des Unruhestandes immer weiter verlängert wird.

Dass es an Lebensräume neue Anforderungen gibt, merke man dann schon, wenn das Haus unter der Woche zu groß ist und am Wochenende zu klein, wenn die Patchworkfamilie kommt. „Menschen erzählen mir immer wieder, dass sie sich wohnlich verändern wollen, wenn die Kinder aus dem Haus sind“, sagt Varga und beruhigt gleichzeitig: „Es ist ganz normal, Angst vor einer ungewissen Zukunft zu haben.“

„Bahn fährt in beide Richtungen“

Eine Veränderung von Wohn- und Arbeitsräumen und vielem mehr wird auch die neue Koralmbahn bringen. Herwig Draxler, Leiter der Wirtschaftspolitik der Wirtschaftskammer Kärnten, richtete einen Appell an alle Entscheidungsträger, die Chancen zu nutzen, die dieses Jahrhundertprojekt mit sich bringt. „Der gelernte Kärntner sagt: Die fahren jetzt alle mit der Bahn weg raus und kommen nicht mehr zurück. Wir haben das aber untersuchen lassen: Sie fährt in beide Richtungen“, sagte Draxler mit einem Augenzwinkern in Richtung aller Berufspessimisten.

Wenn ein Infrastrukturprojekt entsteht, profitieren urbane und periphere Räume gleichermaßen. Neue Räume, egal ob Gewerbe, Industrie oder Wohnen, werden entlang der Strecke entstehen. „Bei Tunneln oder Brücken haben auch in der Vergangenheit immer schon beide Räume profitiert. Wachstum wird entstehen, man muss die Chancen nur nutzen“, sagt Draxler. Die Koralmbahn, die im Dezember 2025 in Betrieb geht, wird aus Kärntner Sicht nicht das Ende der Strecke sein. Der Semmeringbasistunnel wird 2030 die Fahrtzeit von Klagenfurt nach Wien auf zwei Stunden und 40 Minuten verkürzen.

Vorzeigeprojekte im Mittelpunkt

Bei den Projektsessions des Zukunftstags wurden Vorzeigeprojekte aus den Primus-Kategorien Bildung, Infrastruktur, Unternehmensfreundlichkeit, Nachhaltigkeit, Baukultur und Digitalisierung präsentiert. Wie die artBOX St. Gertraud, die ein von Abwanderung, Leerstand und Tristesse geprägtes Frantschach gemeinsam mit zahlreichen weiteren Projekten und Maßnahmen wiederbeleben konnte. Oder die mobilen Galerien von „Art Let Out“, die den Leerstand in der Klagenfurter Innenstadt künstlerisch zu nutzen wussten. Ebenfalls vor den Vorhang geholt wurden unter anderem der City-Bonus der Stadt Villach, die Junior Mini Company, das Klagenfurter Vorzeigeprojekt Hi Harbach, das Stadthaus Feldkirchen, das NikolaiQuartier in Villach, den Energiebetrieb Franz Dorner oder das LoR aWAN Neuhaus.

Gehört der Stadt die Zukunft?

Zukunftsforscherin Christiane Varga beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein. Das sei ein Mythos, hieß es bei der von Wolfgang Fercher moderierten Podiumsdiskussion mit dem Villacher Bürgermeister Günther Albel, Saubermacher-Geschäftsführer Manfred König und Patrick Ratheiser (CEO KI-Unternehmen Leftshift One). Zusammenlegungen von Gemeinden oder eine große Wörthersee-Gemeinde aus Klagenfurt und Villach seien keine Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft. „Zukunft ist nie etwas Radikales, sondern eine kluge Rekombination aus bereits vorhandenen Dingen. Die Regionen sind unglaublich stark. Da ist viel Mittelstand, da sind die Familienunternehmen“, sagt Varga.

Video: Die Primus-VOR Gala

Groß werden die Baustellen für Gemeinden vor allem in finanzieller Sicht. 90 von 132 Kärntner Gemeinden stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. „Das nächste Jahr wird noch dramatischer“, schickt Albel voraus. Kein ordentlicher Kaufmann würde den Job eines Bürgermeisters übernehmen. Man habe als Kommune weder entscheidenden Einfluss auf die Einnahmen, noch auf die Ausgaben. Bund und Länder sollten den Gemeinden das nötige Handwerkszeug zum selbstständigen Wirtschaften wieder zurückgeben, anstatt sie durch Fördertöpfe überleben zu lassen.

Viel Geld wäre bei in der Abfallwirtschaft zu holen. Rund zwei Drittel des Inhalts in der Restmülltonne würden da nicht hingehören. Das verursacht unnötige Kosten, sagt König. Künstliche Intelligenz (KI) soll diese in Zukunft zumindest in Grenzen halten. Kamerasysteme werden den Müll auf Wertstoffe überprüfen. Über Apps gibt es Feedback, wie gut man den Müll trennt. „Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, muss ich Strafe zahlen. Warum sollte man nicht auch bei der Mülltrennung zumindest über ein Bonus-Malus-System nachdenken?“, fragt König. Die beste Sortieranlage sei immer noch der Mensch.

Die KI hält Stück für Stück Einzug in die Verwaltung. Für den Experten wird die Arbeit ohne digitaler Unterstützung mit Blick auf Fachkräftemangel und Pensionierungswellen auch nicht mehr anders zu bewältigen sein. „Kollaborationen sind dabei ein zentraler Punkt. Es muss nicht immer alles neu erfunden werden. Gemeinden können Lösungen auch teilen“, sagt Ratheiser. Angst um Jobs müsse man dabei nicht wirklich haben. Zumal Arbeiten, die einen Dienst am Menschen liefern, immer Bestand haben werden. „Ich bin Betriebswirt und Informatiker. Wenn ich mich noch einmal entscheiden könnte, dann würde ich Physiotherapeut werden“, sagt er mit einem Lachen.

Mehr Jobs geschaffen als vernichtet

So neu, wie viele denken, ist KI gar nicht. In ihren Grundzügen gibt es künstliche Intelligenz schon seit 60 Jahren. Dass sie einem unheimlich vorkommt und mitunter Angst macht, wurde auch im Plenum des Congress Center Villach bei der Keynote von Patrick Ratheiser klar. Auch wenn man sich nicht fürchten müsse, sei die Transformation nicht mehr aufzuhalten. „Im Jahr 2022 hat KI dreimal so viele Arbeitsplätze geschaffen wie vernichtet“, sagt Ratheiser. Gewisse Jobs wird es in Zukunft nicht mehr geben, andere wiederum seien nicht ersetzbar. Wenn Unternehmen Leute einsparen können, dann am ehesten in den Bereichen Büro und Administration, Recht, Architektur und Engineering sowie Finanzen und Management. „KI ist gekommen, um zu bleiben. Wir werden das Ding nicht mehr los. Wir müssen lernen, damit umzugehen“, sagt Ratheiser.