„Es kann nicht sein, dass der Frauenarzt die Schmerzen nicht ernst nimmt, dass man mit 15 ohne Ursachenforschung einfach die Pille verschrieben bekommt und, dass man am Ende aus Verzweiflung ins Ausland fährt, um sich dort operieren zu lassen.“ Das sagt Anja (ganzer Name der Redaktion bekannt), wenn man sie auf ihr Martyrium anspricht. Die Operation, von der sie spricht, ist ihre Hysterektomie. Mit nur 22 Jahren ist sie nach Deutschland gefahren, um sich ihre Gebärmutter entfernen zu lassen. Ein drastischer Schritt, den sie nicht leichtfertig auf sich genommen hat. Sieben Jahre hat sie für diesen Eingriff gekämpft – er war das letzte Kapitel einer Leidensgeschichte, die an ihrem 15. Geburtstag begonnen hatte.
An dem Tag wurde sie von extremen Bauchschmerzen geplagt. „Ich musste mich übergeben und hab es nicht mal bis zum Klo geschafft“, erzählt die Linzerin, die sich daran erinnert, wie sie am kalten Fliesenboden aufgewacht ist. Mit Verdacht auf Blinddarmdurchbruch wurde sie ins Krankenhaus gebracht, „doch die Ärzte fanden nichts.“ Sie bekam eine Schmerzinfusion.
Sechs bis zehn Jahre bis zur Diagnose
Es folgten zahlreiche Frauenarztbesuche und hormonelle Behandlungen – darunter Pille, Spritze und Pflaster – die nicht halfen. „Bei vielen Frauen funktioniert die Behandlung, bei mir wurden die Herde hormonresistent.“ Bald ahnte Anja, was das Problem war; die gleiche Krankheit, unter der ihre Mutter leidet: Endometriose beziehungsweise Adenomyose. „Endometriose ist eine chronisch inflammatorische Erkrankung, bei der ein Gewebe, das der Schleimhaut der Gebärmutterhöhle sehr ähnelt, sich überall im Körper ansiedelt“, erklärt Fachärztin Elisabeth Janschek, die das Endometriosezentrum im LKH Villach leitet. „In weiterer Folge entstehen Verwachsungen zwischen Organen, Vernarbungen zusammen mit den Endometrioseherden.“ Bei Adenomyose sind die Herde im Gebärmuttergewebe.
Die Diagnose sollte Anja erst sieben Jahre und zahlreiche Arztbesuche später bekommen. Tatsächlich vergehen in der Regel sechs bis zehn Jahre bis zur Diagnose, gleichzeitig leidet schätzungsweise jede zehnte Frau unter Endometriose. Bis zur Diagnose sind Frauen oft auf sich alleine gestellt, sie müssen selbstständig Informationen einholen und sich über Landesgrenzen hinaus vernetzen.
Teils dauerte Anjas Periode drei Wochen lang, ihr Leiden wurde als klassischer Regelschmerz abgetan: „Dabei hat sich mein Gelenk oft zwischen Kreuz- und Darmbein ausgerenkt.“ Es brauchte mehrere Anläufe, bis Anja eine Ärztin fand, die sie ernst nahm und eine Endometriose-OP durchführte, wie sie erzählt. Die Herde, die allerdings in ihrer Gebärmutter wucherten, blieben dabei unentdeckt. Zu diesem Zeitpunkt konnte Anja ihren Alltag nur mit starken Einschränkungen bestreiten, sie musste bei ihrer Arbeit immer wieder in die Hocke gehen, um die Schmerzen erträglicher zu machen. „Mit 16 hatte ich dann das erste Mal zum Thema Gebärmutterentfernung recherchiert“, berichtet die Linzerin, die in der Zeit blanke Verzweiflung fühlte. Doch bis zu so einem folgenschweren Eingriff ist es ein langer Weg.
„Alle Therapien ausschöpfen“
„Grundsätzlich kann man sich ab 25 Jahren dazu entscheiden, sich sterilisieren zu lassen, dennoch muss man dabei behutsam vorgehen“, sagt Fachärztin Janschek. Es gebe auch Patientinnen, die sich sicher sind, dass die Familienplanung abgeschlossen ist, bis das Leben eine überraschende Wendung bringt. Allerdings betont Janschek, dass es dabei nicht um Bevormundung geht: „Wir arbeiten mit der Patientin. Wenn der Schmerz im Vordergrund steht, muss man alles Mögliche machen, um ihn zu lindern.“ Wenn tatsächlich gesichert ist, dass der Schmerz von einer kranken Gebärmutter ausgeht, sei eine solche Operation sinnvoll: „Da es ein extrem einschneidender Schritt im Leben ist, muss man unbedingt alle konservativen Therapien ausschöpfen.“
Nicht nur Therapien, auch psychologische Gespräche gehen einer Hysterektomie voran. Anja beschreibt diese Erfahrung als erniedrigend. „Sie sind dann ja keine Frau mehr“, musste sie sich von einer Psychologin sagen lassen. Wenn sie heute an diesen Moment zurückdenkt, fühlt sie Wut: „Ich bin eine Frau, egal ob ich ein Kind habe oder nicht.“ Nach den niederschmetternden Gesprächen vernetzte sie sich mit weiteren Frauen, die ähnlich verzweifelt waren – und wurde so schließlich auf Robinson Ferrara, ein Facharzt für Frauenheilkunde aus Deutschland, aufmerksam. Schon eine Woche später nahm sie die neunstündige Zugfahrt auf sich, um sich von ihm untersuchen zu lassen. Und tatsächlich: „Beim Ultraschall entdeckte er die Herde. Ich hatte endlich Gewissheit.“ Für Anja war schon längst klar, dass sie nicht nur die Herde, sondern ihre ganze Gebärmutter entfernen lassen wollte.
Keine Kurzschlussentscheidung
Tatsächlich lassen sich immer wieder Frauen aus Österreich und der Schweiz von Ferrara behandeln. „Viele fühlen sich alleingelassen“, sagt Ferrara. „In Deutschland gibt es in Hinblick auf Hysterektomien Empfehlungen, aber keine klaren Vorgaben.“ Wichtig sei, dass es keine Kurzschlussentscheidung sei und man sich der Konsequenzen bewusst ist. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre haben etwa drei seiner Patientinnen ihre Entscheidung bereut, wie Ferrara sagt. Er ist sich des gesellschaftlichen Stigmas bewusst: „Oft kommt der Druck von der eigenen Familie. Ähnlich ist das Problem bei Gynäkologen, die sich wenig mit Endometriose beschäftigen.“ Er ortet dringenden Aufklärungsbedarf und rät Patientinnen, Spezialisten aufzusuchen.
Nach ihrer Operation fühlte Anja vor allem eines: „Absolute Erleichterung.“ Die Schmerzen, die sie unmittelbar nach dem Eingriff spürte, waren nicht schlimmer als die Beschwerden, die sie davor hatte, wie sie sagt: „Das sollte den Ärzten eigentlich zu denken geben, dass eine Patientin das nach einer Organentnahme sagt.“ Heute weiß sie, dass sie auf natürlichem Wege nicht mehr schwanger hätte werden können: „Das hat der Befund ergeben.“
Das heißt für andere Betroffene aber nicht, dass eine Gebärmutterentfernung der einzige Ausweg ist und dass ein etwaiger Kinderwunsch unerfüllt bleiben muss. Die Ausprägung der Krankheit ist von Patientin zu Patientin unterschiedlich. Janschek verweist in diesem Zusammenhang etwa auf eine Patientin, die im Gegensatz zu Anja schon einen Kinderwunsch hatte, aber ebenfalls an Endometriose und Adenomyose litt. Nach Jahren der Hoffnung und Verzweiflung wurde sie auf natürlichem Wege schwanger.
Adoption als Option
Anja hat die für sich beste Lösung gefunden. Jetzt kann sie ihren Alltag wieder genießen, wie sie sagt: „Nicht nur, weil ich keine Schmerzen mehr habe, ich bin wieder ich selbst.“ Ihren heutigen Freund hat sie eine Woche nach der Hysterektomie kennengelernt: „Ich habe ihm gleich gesagt, dass ich mir meine Gebärmutter entfernen lassen habe, weil ich meinem Kind diese Krankheit nicht vererben will und den Schmerz nicht mehr ausgehalten habe, aber, dass ich mir eine Adoption vorstellen kann.“
Weil sie diesen Weg mit anderen Betroffenen gehen wollte, trat Anja nach der OP auch mit einer Kärntner Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene in Kontakt. Anja rät anderen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Jede Geschichte ist individuell, so auch die von Anja, bei der die Adenomyose extreme Ausmaße angenommen hat. Janschek betont, dass Endometriose und Adenomyose nicht automatisch bedeuten, dass Betroffene kein Kind bekommen können und will ihnen Mut machen: „Es gibt immer wieder Fälle mit ausgeprägter Adenomyose, bei denen die Patientinnen trotzdem schwanger werden, auch auf natürlichem Wege.“