Mit stoischer Ruhe nahm der sechsfache Familienvater im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts Klagenfurt Platz. Hinter ihm versammelten sich mehrere Schulklassen. Die Tatsache, dass sich der in Kärnten lebende Tschetschene in Österreich wegen Mordes vor Gericht verantworten muss, ist ungewöhnlich. Denn die Bluttat passierte vor über 20 Jahren - in Russland. Der Mordverdächtige wurde auch nicht wie üblich aus der Haft vorgeführt, er ist auf freiem Fuß. Der Fall bietet aber noch mehr Besonderheiten.

Schon der Prozessauftakt war skurril: Der Angeklagte, der seit 20 Jahren in Kärnten lebt, will nicht Deutsch sprechen. Dann kamen Zweifel auf, wie der ehemalige Boxer überhaupt heißt. Nach seiner Flucht aus Russland 2001 war er mit gefälschten Dokumenten in Österreich eingereist und mit neuer Identität in Kärnten untergetaucht. Von entscheidender Bedeutung für den weiteren Verlauf des Prozesses ist jedoch das Alter des Tschetschenen. Er sagte, er sei 1980 geboren, im Asylverfahren war er fünf Jahre älter. Belegen kann er nichts. Nun muss er eine Geburtsurkunde vorlegen. Wurde er 1980 geboren, wäre er zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt und damit ein junger Erwachsener gewesen. „In dem Fall ist dieses Gericht nicht zuständig“, sagt Richter Christian Liebhauser-Karl. Eine andere Zusammensetzung des Gerichts sei erforderlich.

„Man will mir die Tat in die Schuhe schieben“

Trotz dieser Unsicherheit fand die Einvernahme des Angeklagten statt. Der Tschetschene soll im Jahr 2001 bei einer Rauferei in einem Lokal nahe Moskau einen Mann mit einem Messerstich in den Bauch getötet haben. Der heute - angeblich - 43-Jährige bestritt dies abermals. „Ich glaube, jemand wollte mich treffen und hat irrtümlich ihn erwischt“, sagte er. „Jetzt will man mir die Tat in die Schuhe schieben.“ Das Opfer habe er nur vom Sehen gekannt.

Russland lieferte Österreich die Ermittlungsakten. In diesen werden Zeugen genannt, die behaupten, den Angeklagten mit einem Messer am Tatort gesehen zu haben. Die Tat selbst habe niemand gesehen. Der unbescholtene Familienvater, konfrontiert mit den Aussagen, blieb bei seiner Verantwortung. „Das sind für Sie also alles manipulierte Zeugenaussagen?“, fragte der Richter. „Ja, eindeutig“, so die knappe Antwort. Laut einem Ermittler des Landeskriminalamtes gebe es keine Beweismittel in Österreich, man habe nur die Akten übersetzt. Man hätte keinen Auftrag gehabt, die Zeugen auszuforschen. Der Richter wunderte sich. Sei das doch für den Prozess notwendig. Staatsanwalt Markus Kitz und Verteidiger Hans Gradischnig sahen das auch so. Damit war klar: Der Prozess wird vertagt. Die Kärntner Kriminalisten müssen jetzt die Zeugen der Bluttat von 2001 in Russland aufspüren und die Identität des Angeklagten klären.