Wie riesige verkohlte Geodreiecke ragen die Mauerreste des Dachstuhls in den blauen Winterhimmel. Die Fassaden des Hotelkomplexes sind verrußt, die Holzbalkone im oberen Bereich nur noch ein Torso. Vor dem abgesperrten Vier-Sterne-Komplex steht ein gelber Kran, er häuft die herausgerissenen Zimmermöbel zu einem Bretterberg an. Eine Tafel mit der Firmenaufschrift „Belfor“ prangt an der Frontseite, der Weltmarktführer ist spezialisiert auf die Wiederherstellung, Trockenlegung und Entgiftung von Gebäuden, die einem Großfeuer oder eindringenden Wassermassen zum Opfer fielen.
Beim Brand im Alpenhotel „Plattner“ auf dem Nassfeld, Kärntens größtem Skigebiet, trafen beide Verheerungen zusammen. Erst kam das Feuer, ausgelöst durch Sanierungsarbeiten an den Solarleitungen und angefacht von Sturmböen, dann der heftige Regen. 15.000 Kubikmeter Löschwasser wurden einem nahe gelegenen Teich, angelegt für die Produktion von Kunstschnee, entnommen. Sachverständige beziffern den Schaden mit bis zu zehn Millionen Euro. Das Dach und die obersten Etagen wirken beim Anblick wie abgesägt, nicht unähnlich den Türmen des Notre Dame. Auch dort, an den Gerüsten der Pariser Kathedrale, hängt ein Transparent der amerikanischen Restaurationsfirma. Die Parallelität lässt die Dimension erahnen.
Am schlimmsten, erzählt Elisabeth Plattner-Frühwirth, seien die Momente gewesen, als unten im Tal, im kleinen Ort Kühweg bei Hermagor, am Morgen des 27. Novembers die Feuerwehrautos am Wohnhaus der Hoteliersfamilie vorbeigerast seien. Der Vater der 36-jährigen Betreiberin, Hans Plattner (66), war früh über sein Handy alarmiert worden. Er ist seit Jahrzehnten selbst Feuerwehrmann. Die Familie musste den Senior, der den „Plattner“ gemeinsam mit dessen verstorbenem Vater zu einem Markenzeichen aufgebaut hat, mit Leibeskräften zurückhalten, er „hätte den Einsatz und den Anblick mit seinem kranken Herz nicht bewältigt“, sagt die Adoptivtochter.
Gelebte Nachbarschaftshilfe, treue Gäste
Das Hotel am Fuße des Gartnerkofels hat weit über Kärnten hinaus ikonische Bekanntheit. Man fährt als Skifahrer direkt daran vorbei. Viele machten an der Panoramaterrasse oder an der orangefarbenen Außenbar Station, wo Urlauberinnen politisch nicht ganz korrekt bunte BHs zu einer kecken Deckeninstallation arrangiert haben. In den vergangenen Tagen diente die Bar den Hunderten Helfern und Arbeitern als Labestation.
Wirte vom Skiort bis hinunter nach Pontebba schlossen am Unglückswochenende spontan ihre Betriebe und versorgten am Brandort die Einsatzkräfte mit Speisen und Getränken. Skilehrer eilten herbei und boten ihre Hilfe an. Der Pfarrer sprach Mut zu. Eine Bank, die gar keine Geschäftsbeziehung mehr zur Hoteliersfamilie unterhält, ließ dieser über eine Stiftung einen fünfstelligen Betrag als Soforthilfe zukommen. Geschockte Hotelgäste, die per Newsletter vom Geschehen informiert wurden, spendeten ihre Anzahlungen. Solidarisch zeigten sich auch die Handwerksbetriebe im Tal. Sie reihten Aufträge um und halfen mit, das Gebäude binnen weniger Tage notdürftig abzusichern. Erst dadurch konnte die Behörde den Schwergetroffenen grünes Licht für einen beherzten Willensakt geben: Vater und Tochter wollen nicht aufgeben und die Baustelle mit Leben erfüllen. „Wir haben beschlossen, ab dem Stefanitag die Außengastronomie auf der Terrasse und in der Bar als Notbetrieb mit einem Teil der 25 Mitarbeiter fortzusetzen“, berichtet Hans Plattner. „Es gibt kein Nassfeld ohne Plattner“, sekundiert die Tochter mit einem Anflug von robustem Trotz. Die anderen Beschäftigten konnte man im Tal per Rundruf vermitteln. Auch hier manifestierte sich eine Form von gelebter Nachbarschaftshilfe, wie man sie nach Aussagen beeindruckter Sachverständiger aus Wien anderswo so nicht vorfinde.
Es wird ein Neubeginn im Kleinen sein, der ein Gegenbild zur düsteren Brandruine symbolisieren soll. „Wir wollen uns dem Anblick stellen und zeigen, dass das Leben weitergeht und dass wir uns nicht niederdrücken lassen“, sagt Elisabeth Plattner voll vorweihnachtlicher Zuversicht. Die Solidarität der Bevölkerung habe ihnen die Kraft dazu verliehen, erzählt der Seniorchef. Sie habe der „wunden Seele gutgetan“.
Der Neuanfang als Art Therapie
Der Neuanfang vor dem versperrten, schwer zugerichteten Stammhaus werde auch eine Art Therapie bei der Bewältigung des Geschehenen sein. In einem Jahr soll dann das Hotel in der bestehenden Kubatur laut Belfor-Experten wiederhergestellt sein. Dann wolle man auch wieder Weihnachten so feiern, wie man es jahrzehntelang gewohnt war: mit den Stammgästen, mit Liedern und Gedichten im Foyer, dem Weihnachtsmenü und einem Fackelspaziergang hinunter zur kleinen Grenzkapelle, dem Ort der Mitternachtsmette. „Heuer“, sagt Elisabeth Plattner, „wird es Kühweg sein, und es wird so still sein wie im Lockdown.“ Es werde Selchwürstel und Sauerkraut geben und vielleicht auch die Erinnerung daran, wie es „oben auf dem Berg am Weihnachtsabend immer gewesen ist“.