Dieser Text beinhaltet Lösungen. Doch erst müssen wir in die Abgründe schauen und beginnen bei Andrew Tate. Der britisch-amerikanische Social Media-Star hat 8,9 Millionen Follower auf Twitter (jetzt X) und war ursprünglich Kickboxer. Heute ist er ein Role Model. Er gibt Tipps für den Umgang mit Frauen, ist Teil der „Manosphere“ und bezeichnet sich selbst als „König der toxischen Männlichkeit“. Warum ist Andrew Tate wichtig? Er beeinflusst Millionen junger Männer, die aktuell finden, dass der ganze Feminismus ihnen nicht nur ihren Status nehmen möchte, sondern dass man sich dagegen auch wehren muss. Auf TikTok etwa erzählt er, dass man als Mann niemals mit einer Frau Sex haben sollte, die älter als 30 Jahre ist, weil die schon „länger auf dem Karussell unterwegs ist“ und man doch nicht der zehnte Typ sein wolle. Dieses Zitat beschreibt im Detail, was er von sexueller Selbstbestimmung hält. Und das ist sein grundsätzlicher Zugang: „Es spielt keine Rolle, ob eine Frau Anwältin, Hausfrau oder Webcam-Girl werden will. Wenn sie keinen Mann hat, der sie anleitet, wird sie es vermasseln. Sie sind nicht dazu geschaffen, unabhängig zu sein.“ Auf der Social-Media-Plattform TikTok haben seine Videos mehr als elf Milliarden Aufrufe. Er ist also ein Star, seine Zielgruppe sind junge Männer. Dass sich sein Hass nicht nur auf Frauen beschränkt, sondern auch auf muslimische Menschen und er regen Austausch mit Männern aus dem rechtsextremen Lager pflegt, sei hier nur kurz angemerkt. Das Wichtige dabei sind seine Reichweite und sein Credo, wenn man Zigarren rauche und Frauen schlecht behandele, dann sei man ein „echter“ Mann.
Ein Zeichen von Willenlosigkeit?
Andrew Tate ist ein Extrembeispiel, aber eines, das man ernst nehmen sollte. Denn das Gefühl, Gleichberechtigung würde das klassische Männerbild und damit auch das männliche Selbstbewusstsein ins Wanken bringen, teilen offenbar viele junge Männer. Was aber ist die andere, die konstruktive Erzählung im Zusammenspiel zwischen Männern und Frauen? Und warum lohnt sich Feminismus für Männer? Eine These: Weil das Patriarchat auch Männern schadet. Die steirische Autorin und Unternehmerin Nathalie Karré umreißt es in ihrem aktuellen Buch „Der Power-Effekt“ so: „Männer leiden unter dem Patriarchat, denn es bevorzugt die emotionale Armut und sorgt dafür, dass kleinen Buben, ja sogar schon Säuglingen das Weinen abtrainiert wird. Es sorgt dafür, dass unsere Gefängnisse voll mit Männern sind und dass sie viel öfter Selbstmord als einzige Lösung sehen.“ Wie oft genau hat die Dokumentation „Der Preis der Stille“ des Arbeitnehmer-nahen „Momentum-Institutes“ im Herbst 2023 erhoben. „Drei Viertel der Suizide in Österreich werden von Männern begangen. Dieses Geschlechterverhältnis hat sich in den letzten Jahren nicht verändert.“ Der steirische Popmusiker Paul Pizzera hat sich diesem Thema in sogar humoristischer Weise in seinem Buch „Der König der Möwen“ angenommen. Inspiriert durch das Schicksal seines Freundes, begann er über die männliche Sprachlosigkeit nachzudenken, denn „ja, Suizid ist ein schwieriges Thema, aber das ist nur ein anderes Wort dafür, dass es ein wichtiges Thema für uns Männer ist“, sagt Pizzera im Kleine Zeitung-Podcast „fair&female“. Auf die Frage, was denn für ihn ein „echter“ Mann sei, sagt er heute: „Ein echter Mann weiß, dass es falsch ist, ein echter Mann sein zu wollen. Seine Gefühle, Ängste und Unzulänglichkeiten zu ignorieren, ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Willenlosigkeit, ein besserer Mensch zu werden.“
Warum brauchen Männer eine neue Männlichkeit?
Ein besserer Mensch also, das sollten Männer werden. Aber wie? Christoph May ist Männerforscher und leitet das Institut für kritische Männerforschung in Deutschland. „Feminismus ist eine Lebensaufgabe, ich stehe da erst am Anfang. Die ersten dreißig Jahre meines Lebens war ich vorwiegend in männlich dominierten Umgebungen aktiv.“ Mittlerweile hat er gemeinsam mit seiner Frau dieses Institut gegründet und ist im deutschsprachigen Raum so etwas wie der „Vorzeige-Feminist“ und wird durch Dokumentationen, Medien und Talkshows gereicht, denn es gibt eben nicht so viele Männer, die sich mit der eigenen toxischen Männlichkeit beschäftigen. Was wäre denn der große Gewinn für uns als Gesellschaft, wenn mehr Männer Feministen wären? „Die feministische Bewegung ist die erfolgreichste des 20. Jahrhunderts, doch leider glauben die meisten Männer, sie hätte nichts mit ihnen zu tun. Wir aber sind das Problem! Traditionelle Männlichkeiten blockieren alles, was die Welt voranbringen würde: Gleichstellung, Diversität und Klimaschutz. Männliche Monokulturen bilden das Fundament für Misogynie, Gewalt, Rassismus, Faschismus, Verschwörungstheorien, Hatespeech und Mansplaining.“ May, der am kommenden Dienstag in Graz genau dieses Thema diskutieren wird, greift aber auch hart durch. Er meidet Männer, die sich nicht diesem Wertekanon anschließen und sagt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass es „nicht die Aufgabe der Frauen sei, gegen Diskriminierung zu kämpfen, sondern die Aufgabe von Männern, die Welt vom Patriarchat zu befreien.“
Gibt es zwischen dem Frauenhasser Andrew Tate und dem vielleicht etwas eng gesteckten Feministen Christoph May aber vielleicht noch andere Perspektiven? Gibt es noch andere Argumente, um Männer in den feministischen Diskurs zu bringen? Wie wäre es mit ein paar Zahlen? Wirtschaftlichen Zahlen. Unternehmen sind erfolgreicher, wenn es in der Führung Frauen gibt. Am besten in gemischten Teams. Zu diesem Schluss kommen seit ein paar Jahren Studien der Unternehmensberatungsfirmen McKinsey, Boston Consulting oder PWC. Eine aktuelle von McKinsey besagt, dass es eine um 25 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit für mehr Profit gibt, wenn die Führung divers ist. Herangezogen wurden dafür Daten von mehr als 1000 Unternehmen in 15 Ländern. Und gerade in Krisenzeiten sei es entscheidend, dass die Diversität (und damit ist tatsächlich bereits der Frauenanteil gemeint) nicht vergessen wird. Frauen sollen dabei gestaltend und nicht nur formal dabei sein. „Diversität schafft keine Harmonie, sondern erfordert Energie. Es ist deutlich einfacher, Entscheidungen in einer homogenen Gruppe zu treffen, in der ohnehin alle einer Meinung sind. Aber unsere Studie beweist eindeutig: Die Mühe lohnt sich“, so McKinsey Partnerin Julia Sperling.
Video: Gedanken zum Weltfrauentag
Die Mühe lohnt sich also, aber auch ohne Kennzahlen aus der Wirtschaft lohnt es sich, Männer für ein neues Menschenbild zu gewinnen. Es erhöht die Qualität des Zusammenlebens, es ermöglicht mehr Freiräume für alle Geschlechter und macht uns als Gesellschaft vermutlich innovativer. Es gibt viele junge Männer in Österreich, die sich als Feminist bezeichnen. Manche tragen dafür aber nur ein T-Shirt. Andere hingegen leben es in ihren Familien und erleben damit, dass es schön ist, wenn Care-Arbeit geteilt wird, weil man später nicht sagen muss, „nie bei den Kindern gewesen zu sein.“ Manche erleben Männer-Runden, in denen Witze über Frauen keinen Stellenwert mehr haben und die dadurch gehaltvoller werden, vielleicht auch ehrlicher. Und manche Männer haben selbst Visionen von diesem neuen „echten“ Mann. Wie Schauspieler Manuel Rubey im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „Angesichts der allerorts erstarkenden Rechten droht ja viel Schreckliches. Nicht zuletzt auch der Rückfall in ein mittelalterliches Frauenbild. Ich hätte einen Vorschlag. Feminismus als Maturafach (vielleicht statt Mathe). Wir brauchen nämlich gerade ganz dringend viele junge Männer, die heitere, fröhliche und optimistische Feministen sind.“