Obwohl in seinem Volk regelmäßig Kopfschütteln auslösend, dürfte er zumindest damit aussprechen, was viele Briten denken empfinden: "Am Montag, dem 12. April, werde ich selbst zu einem Pub gehen und vorsichtig, aber unaufhaltsam ein Bier an meine Lippen führen." So sprach Boris Johnson, der mit seiner wirren Frisur an die Verwerfungen des Brexit gemahnende britische Premierminister.

Seinen Plan gab er mittlerweile wegen der Trauer um den verstorbenen Prinz Philip auf - doch, indeed, die kulturhistorisch geprägte nationale Institution ist unter Auflagen zurück: Heute darf sie in England zumindest ihre Außenbereiche für nach einem Pint Lager, Ale oder Bitter und sozialer Grundversorgung dürstende Seelen aufsperren (die anderen britischen Landesteile legen ihre eigenen Coronaregeln fest).

Pubs sperren massenhaft zu

Nur: Für viele Pubs kommt diese Lockerung zu spät – nach Monaten des Darbens packte sie der Ruin: 2019 gab es noch 47.000 Pubs in Großbritannien. Seit Februar 2020, als die Pandemie über diese Welt kam, hauchten um die 5300 ihr Leben aus. Im heurigen Jänner und Februar sperrten laut aktuellen Zahlen – jeden Tag – 46 Pubs für immer zu. Viele weitere sind moribund und ihren "Last orders!" sehr nahe. Such a shame!



Auch Englandreisenden, die es (wie etwa den Autor dieses kleinen Liebesschwurs) seit Jahrzehnten nach Britannia und zu ihrem dort möglicherweise nicht mehr existierenden Lieblingspub zieht, könnte das einen kleinen Stich versetzen, denn: Ein gutes "Public House" ist nur auf den ersten Blick ein lediglich nach Generationen von Schluckspechten, längst verschüttetem Bier und frischen Regengüssen sowie mitunter diskussionswürdigem Essen riechendes, dunkel getäfeltes und eigenwillig verziertes Etablissement.



Es ist eine Vignette der Gesellschaft – und heimeliger Treffpunkt für alle Schichten, in dem ein Uni-Professor neben einem Bauarbeiter, eine Börsenmaklerin neben einer Studentin im 23. Semester steht und am Bier (oder auch einem alkoholfreien Getränk!) nippen kann. Das Pub ist ein Abbild der britischen Nation, ein rarer Ankerpunkt inmitten von Veränderung und Unsicherheit.

Schwer hatten es die Lokale schon vor Corona – vor allem die unabhängigen, die nicht großen Ketten wie der Ei Group, Mitchells & Butlers, Admiral Taverns, J D Wetherspoon oder der Wellington Pub Company angehören. Die Gründe für den voranschreitenden Niedergang der Branche sind mannigfaltig: veränderte Vorlieben der Kundschaft, steigende Steuern und dadurch höhere Bierpreise sowie nicht zuletzt der stetig wachsende Anteil muslimischer Bevölkerungsschichten. Die globalisierte, ausfransende Welt setzte den Public Houses mächtig zu. Historisch gehen sie auf römische Tavernen des ersten Jahrhunderts nach Christus zurück. Damals wurde auf der Insel bereits Ale gebraut und ungekühlt kredenzt: Den Geschmack davon mag man sich vorstellen oder auch nicht.

Nach vielen Veränderungen wurde daraus zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Pub, wie wir es heute kennen. Die Qualität der angebotenen Speisen konnte über die Jahrzehnte durchaus gewinnen, wurde international und wer Glück hat, erwischt ein Pub, in dem noch frisch und womöglich auch vegetarisch gekocht wird. Ein Hort der Abstinenz werden sie nie werden – doch die erste Pub-Kette ließ im Mai 2006 ihre Lokale rauchfrei werden. Seit Juli 2007 ist der "Smoking Ban" Gesetz.

Auch die kulturelle Bedeutung der Institution Pub kann kaum überschätzt werden: Manches mehr oder weniger bedeutsame Werk britischer Literatur dürfte ohne die dort frei zirkulierenden Gedanken des Poeten bzw. bemerkenswerte Gespräche und Alltagsbeobachtungen nicht entstanden sein: Mit William Shakespeare, Charles Dickens, H. G. Wells und George Orwell gibt es nicht gänzlich unbekannte Beispiele. Man muss dabei nicht so weit gehen wie Ernest Hemingway, der forderte: "Write drunk, edit sober" ("Schreibe betrunken, überarbeite nüchtern"). Auch so manche, später zu Weltruhm aufgestiegene britische Band verdiente sich erste Sporen in Pubs: Ein Beispiel sind die Dire Straits rund um Gitarren-Magier Mark Knopfler, die nach ihren ersten Auftritten eben dort einmal 100 Millionen Tonträger verkaufen sollten. Die streitbaren Gallagher-Brüder Noel und Liam aus Manchester waren von 1991 bis 2009 Oasis und ohne ihre rauen Wurzeln in Pubs gar nicht erst vorstellbar.

Hilferuf von Branchenvertretern

Dave Mountford vom "Forum for British Pubs" startet einen Hilferuf, um das Schlimmste abzuwenden: "Pubs werden noch jahrelang finanzielle Unterstützung brauchen, um sich hiervon zu erholen." Geschulterte Kreditberge müssten erst zurückgezahlt werden – Sorgen bereitet dem Branchenvertreter auch ein möglicher mentaler Wandel im britischen Volk: "Werden sich die Menschen über das Jahr daran gewöhnt haben, mehr zu Hause zu trinken? Wenn ich ganz ehrlich bin, wäre das eine reichlich trostlose Zukunft."

Zuversicht! Natürlich ist es ein langer Weg zurück. Man darf aber davon ausgehen, dass es die Engländer geradezu instinktiv in die nun wieder geöffneten Außenbereiche und "Beer Gardens" ziehen wird. Dass die Durchimpfung der Bevölkerung zumindest in Großbritannien forsch vorangeht, während sie in der EU beschämend/bedenklich dahintröpfelt, dürfte den Durstigen entgegenkommen. Man darf übrigens gespannt sein, ob auch das Pub mit dem längsten Namen ("The Old Thirteenth Cheshire Astley Volunteer Rifleman Corps Inn") und jenes mit dem kürzesten ("Q Inn") – beide sind in London – heute aufsperren. Cheers!