"Ich werde nicht jene Person in der königlichen Familie sein, die faule Ausreden findet und ins Ausland fährt, um dort Urlaube in der Sonne oder was auch immer zu machen" – so sprach Prinz Harry anno 2013. Nun, acht Jahre später, geht es nicht mehr um royale Sommerfrischen, sondern um den kompletten Rückzug des Sechsten in der britischen Thronfolge, seiner Frau Meghan und seines bald zweijährigen Sohnes Archie aus der königlichen Familie und ihrem Pflichtenkatalog.
Für den 36-Jährigen, der mit seiner Familie über den Ozean flüchtete, ist es seit längerer Zeit eine Sollbruchstelle. Für das Königshaus ist es am Ende eine Katastrophe mittleren Ausmaßes – obgleich bereits absehbar und offiziell natürlich mit der berüchtigten "stiff upper lip" quittiert.
Die interne Verhandlungsbereitschaft der "Firma" (so nennen einige Royals das Königshaus selbst) war und ist sehr enden wollend: Als der zweitgeborene Sohn von Prinz Charles (72) und Prinzessin Diana (1997 verstorben) Welt und Großmutter im Jänner 2020 wissen ließ, statt einer Vollzeit- nur noch eine Teilzeitrolle bei den Windsors spielen zu wollen, hatte sich Queen Elizabeth II. – vorsichtig formuliert – skeptisch gezeigt. Mit einem Fuß in der Freiheit, auf der anderen Seite noch Royal mit allen Privilegien und Rängen sein – und das noch dazu in Kanada bzw. den USA: für die bald 95-jährige Monarchin, die bereits 1947 verkündet hatte, ihr restliches Leben fortan der Krone widmen zu wollen (was sie auch tut), schlichtweg unvorstellbar.
Trotzdem räumte man dem Abtrünnigen und seiner von der britischen Boulevardpresse von Beginn an nicht gerade zärtlich behandelten Frau eine Art einjährige Probezeit ein. Besuche in der ehemaligen Heimat fielen seitdem jedoch überaus sporadisch aus, Harry und Meghan zeigten herzlich wenig Motivation, das sonnige und von Hofzeremoniell freie Kalifornien wieder gegen das wolkenbedeckte Brexitannia einzutauschen. Vielmehr tauchte man in die der Prinzengattin wohlbekannte Welt des Showbusiness ein. Astronomisch vergütete Verträge mit den Serien- und Musik-Streamingdiensten Netflix und Spotify sichern Ein- und Auskommen (ohne dafür sehr viel leisten zu müssen, wie Kritiker süffisant notieren).
Der Zeitpunkt der Bekanntgabe des finalen Rückzugs (Harry: "Ein Beiseitetreten, kein Zurücktreten!") war verheerend – drei Tage nachdem Prinz Philip, der 99-jährige Ehemann der Königin, mit Problemen in die Londoner Klinik King Edward VII. eingeliefert worden war. Des Volkes Sympathien für die Freiheitsliebenden waren da längst verspielt: Bei allem Murren über die versteinerte Monarchie und ihre Symptome zieme es sich doch nicht, Privatier zu werden, auf Traditionen zu pfeifen und der Großmutter aus ein paar Tausend Kilometer Entfernung Dinge zu bestellen.
49 Prozent der Briten würden es mittlerweile laut aktueller "YouGov"-Umfrage befürworten, wenn Prinz Harry aus der Thronfolge entfernt würde. Ränge, Titel und Schirmherrschaften sind Harry und Meghan nun ohnehin los: Die Royal Marines, der Queen's Commonwealth Trust, die britischen Rugby-Verbände und das Nationaltheater in London etwa werden fortan nicht mehr mit den beiden assoziiert. Der 36-Jährige verliert zudem seine militärischen Ehrentitel. Die traditionellen "Invictus Games" kriegsversehrter Sportler will er fortan als Privatperson unterstützen – für 2022 sind sie derzeit in Düsseldorf geplant.
Die Queen betont ihre Zuneigung zu Harry und Meghan. Nach einem Familienrat bestätigte sie aber auch, dass es nach dem Rückzug aus der königlichen Familie nicht möglich sei, „Verantwortung und Pflichten fortzusetzen, die mit einem Leben im Dienste des Volkes verbunden sind.“ Und weiter: "Die Herzogin und der Herzog von Sussex kehren nicht mehr als arbeitende Mitglieder des Königlichen Haushalts zurück." Elizabeth II. hatte am Ende keine andere Wahl, als die Reißleine zu ziehen: Hätte sie einen Teilzeit-Royal mit diversen Freiheitsprivilegien in ihren engeren Familienreihen akzeptiert, wäre das nach außen transportierte Bild verheerend gewesen: Wasser auf den Mühlen jener Monarchiegegner, die die Royals seit jeher als mit Steuergeld versorgte Statisten ohne Mehrwert schimpfen.
Auch ein Dominoeffekt innerhalb der königlichen Familie wäre nicht auszuschließen gewesen – obgleich Harrys Bruder William (38) und seiner Frau Catherine (39) ähnliche Sezessionsgedanken fremd zu sein scheinen. Die Queen wird am 21. April 95 Jahre alt – Prinz Charles, der Erste in der aktuellen Thronfolge, wird im November 73. Patiniertes Königreich Großbritannien und Nordirland – es braucht umso mehr möglichst verlässliche Nachfolgegenerationen für seine Zukunft, um überhaupt noch auf eine hoffen zu dürfen.
Mit Spannung (bzw. im Palast: mit Schrecken) erwartet wird das für den 7. März (US-Zeit) anberaumte "intime" und "weitreichende" CBS-Interview mit Star-Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey. Die Seelenschau der Sussexes dürfte saftig ausfallen: Nicht zuletzt Meghans wackeliger Eintritt in das Leben als Royal, ihre Ehe und das Dasein unter dem öffentlichen Brennglas werden thematisiert. Oprah dürfe die Abtrünnigen "alles fragen", hieß es vorab.
Allein: Das britische Volk, derzeit wirklich mit anderen Problemen beschäftigt, scheint daran nicht mehr besonders interessiert zu sein: Wie eine Umfrage der "Sun on Sunday" zeigte, will gar die Hälfte aller Zuschauer den Sender wechseln, sobald das Interview beginnt. Für viele wirkt es auch paradox, dass Harry und Meghan ihren Exodus mit einem Mangel an Privatsphäre begründeten und dann bei der bekanntesten Talkshow-Moderatorin der Welt ans Eingemachte gehen. Die nun wieder schwangere 39-Jährige bedient die Drehorgel öffentlicher Aufmerksamkeit gekonnt und ließ zuletzt die Welt beispielsweise auch ihre Standpunkte zu Rassismus, zur Präsidentenwahl in den USA und zur globalen Corona-Pandemie als göttliche Rache für den Klimasündenfall Mensch wissen.
"Fallen from Grace" ("in Ungnade gefallen") – direkt nachdem er dem goldenen Käfig entkam: Der Bruch mit seiner Heimat dürfte für Harry womöglich endgültiger ausfallen, als er sich das insgesamt erhoffte. Was ihn und seine Frau als Royals ausmachte, wird familienintern verteilt: Nachfolger stehen "schon längst" fest, heißt es.