Mehr als zwei Jahre hat die ESA-Sonde Rosetta den Kometen Tschuri umkreist. Mit an Bord das Berner Massenspektrometer Rosina, das den Kometen ausführlich "beschnuppert" hat. Am 30. September soll Rosetta nun auf Tschuri zerschellen.
Geplanter Crash
Im März 2004 machte sich die Raumsonde "Rosetta" von der Erde auf, den Kometen 67P/Tschurjumov-Gerasimenko - oder kurz "Tschuri" - zu erforschen. Zehn Jahre später erreichte sie ihr Ziel und umkreist seit nunmehr gut zwei Jahren den Gummienten-förmigen Himmelskörper. Zum krönenden Abschluss soll die Sonde ihrem Kometen so nah kommen wie nie zuvor - und auf ihm zerschellen.
Ein bisschen Wehmut sei schon dabei, gibt Kathrin Altwegg von der Universität Bern zu. "Es ist mit einem lachenden und einem weinenden Auge verbunden", sagt die Astrophysikerin über das bevorstehende Ende der Rosetta-Mission, an der sie als Projektleiterin beteiligt war.
Es gebe viele Weltraummissionen, die immer wieder verlängert würden und kein richtiges Ende fänden. Die Bruchlandung auf dem Kometen sei der passende Abschluss für die großartige Mission. Zumal sich der Komet auf seiner Umlaufbahn von der Sonne weg bewegt und Rosetta die nächsten vier Jahre wegen Energiemangels ohnehin nichts mehr messen könnte.
Wesentliche Daten geliefert
Das Berner Messgerät Rosina - ein Massenspektrometer, das die chemische Zusammensetzung von Tschuris Ausdünstungen analysiert - funktioniere indes weiterhin hervorragend und liefere Daten, betont Altwegg. "Im Labor würde ich ein solches Gerät nie auf den Boden werfen."
Gerade das Berner Messgerät hat Resultate geliefert, die unsere Vorstellung über die Entstehung des Sonnensystems umgekrempelt haben. Es zeigte sich beispielsweise, dass der Komet nicht aus großen massiven Gesteinsbrocken besteht. Stattdessen scheint er fraktal aufgebaut, das heißt alle Körner bestehen aus kleineren Körnern, die wieder aus noch kleineren Partikeln zusammengesetzt sind.
"Der Komet ist sehr porös, zu 75 Prozent besteht Tschuri aus Nichts. Das Ganze wird nur durch schwache Kräfte zusammengehalten", erklärt Altwegg. "Es können also bei Tschuris Entstehung keine großen Kollisionen im Spiel gewesen sein."
Diese Erkenntnis widersprach einer verbreiteten Theorie über die Entstehung unseres Sonnensystems, das von einem Kollaps der Staubwolke um die Sonne ausgeht. Im Zuge heftiger Kollisionen müssten sich die Planeten, Asteroiden und Kometen zu kleineren und größeren Objekten zusammengeballt haben."Unsere Beobachtungen an Tschuri deuten aber darauf hin, dass das alles viel sanfter passiert sein muss", sagt die Berner Astronomin.
Auch über die Herkunft des irdischen Wassers lieferte Rosina neue Erkenntnisse. So zeigte sich durch Analyse der Wasserstoff-Isotope in Tschuris Ausdünstungen, dass das Wasser der Erde zum Großteil nicht von Kometen wie Tschuri stammen kann.
Daten "erschnuppern"
Die Daten, die Rosetta in den letzten Wochen und Tagen ihrer Existenz sammelt, dürften die beteiligten Wissenschafter noch Jahre bis Jahrzehnte beschäftigen. Das Beste kommt dabei wahrscheinlich zum Schluss: Die derzeitigen Flugmanöver bringen Rosetta ihrem Kometen näher denn je und erlauben der Sonde, einmalige Daten zu sammeln. Gerade größere Moleküle kann Rosina nur aus größerer Nähe "erschnuppern", da sie sehr selten sind.
Diese Manöver sind jedoch auch riskant und könnten der Mission durchaus vor der offiziell geplanten Bruchlandung am 30. September ein jähes Ende bereiten. Wollte man die Mission fortsetzen, würde man diese Manöver wegen der unbekannten Gravitationskräfte wohl nicht riskieren.
Rosina-Projektleiterin Altwegg schätzt, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern könnte, bis die letzten Daten ausgewertet sind. Die Professorin wird die Auswertung zwar dann nicht mehr begleiten: "Ich gehe quasi zusammen mit Rosetta in Pension", so die Physikerin. Aber sie ist überzeugt, dass Schweizer Projektanträge an die ESA auch dank Rosina künftig gute Erfolgsaussichten haben.
Erfolgsgeschichte mit langer Vorbereitung
Dass Rosina zum erfolgreichsten Instrument der Rosetta-Mission wurde, gehe auf die Teamarbeit von über 100 Leuten zurück, betont Altwegg. Und es ist eine Erfolgsgeschichte mit langer Vorbereitung: Bereits in den 1980er-Jahren hatte der Berner Professor Johannes Geiss den Grundstein für die Mission gelegt.
"Es wird weitere Kometenmissionen brauchen", ist Altwegg überzeugt. Zum Beispiel hat das Landemodul "Philae" nicht optimal auf dem Kometen aufgesetzt, war nach mehreren "Hüpfern" in einer Felsspalte gelandet. Dort hatte er über seine Solarpanele nicht genug Energie generieren können und war nach nur rund 60 Stunden Arbeit in einen "Winterschlaf" gefallen.
Im Sommer 2015 gab es noch mehrmals kurz Kontakt zwischen "Philae" und seiner Muttersonde, als der Komet der Sonne sehr nah war. Mit wieder zunehmender Entfernung zur Sonne wurde ein weiterer Kontakt immer unwahrscheinlich und im Juli 2016 wurden die Kontaktversuche mit "Philae" endgültig abgebrochen.
Erst vor kurzem konnte das Rosetta-Missionsteam "Philaes" Schicksal endgültig enträtseln: Sie entdeckten ihn auf einer Aufnahme der Kometenoberfläche, die Rosetta dank zunehmender Nähe mit immer höherer Auflösung aufnehmen konnte.
Immerhin konnte der Landeroboter zahlreiche Datenpakete übermitteln. Komplett konnte er seinen Auftrag wegen der missglückten Landung aber nicht erfüllen. "Wir wissen nicht, wie ein Komet unter der Oberfläche aussieht", sagt Altwegg. "Das müssen zukünftige Missionen herausfinden."