Der Song Contest naht in großen Schritten (und mit nicht immer so großer Musik). Österreichs Bundeshauptstadt putzt sich für den Gesangswettbewerb und den Life Ball eine Woche zuvor fein heraus, lässt Musik aus Kanaldeckeln erklingen, lackiert ihre Öffis neu - und setzt auf neue "Toleranzampeln". Letztere Aktion war der FPÖ und ihrem Verkehrssprecher Toni Mahdalik zu viel: Anzeige gegen die Grüne Maria Vassilakou.
Frage(n) der Toleranz
Wien, einst Schmelztiegel einer Monarchie, sollte Ort des Brückenbauens, von Inklusion und Toleranz werden - für eine Nacht des Halb-Playback (die selbst eine Menge Toleranz erfordert). So ganz gelang das bis dato nicht. Vassilakou, grüne Verkehrsstadträtin und Vizebürgermeisterin, sieht sich mit einer Strafanzeige konfrontiert. Klagsgrund: Statt geschlechtsneutraler Ampelmännchen gibt es seit kurzem neue Ampelpaare. Die Freiheitlichen wittern "grüne Klientelpolitik und Steuergeldverschwendung in Reinkultur".
"Weibchen plus Männchen"- sowie "Weibchen plus Weibchen"- und "Männchen plus Männchen"-Symbolbilder leuchten bei Fußgängerübergängen an insgesamt 49 Standorten auf und sorgen - wie das in Österreich zu erwarten war - für amüsiertes Schmunzeln, fadisiertes "Is' ma wuascht!" und große Empörung in unterschiedlichen Anteilen. Ob in Wien nun mehr Autofahrer das Grünsignal für Fußgänger beachten oder bestenfalls ein "Bist ong'rennt, Oida?!" mit gestreckter Hand übrig haben, ist derzeit nicht bekannt.
Nach Berichten in der Washington Post trat Wien immerhin damit in den medialen Fokus, auch in Ländern, in denen der Song Contest sonst bestenfalls eine Fußnote ist. Und in den Meinungsforen geht es ohnehin rund: Unter dem Titel "Lesen Sie auch: krone.at-User entrüstet über neue Ampelmännchen" bildet gleichnamige Zeitung das Stürmlein der Empörung (Neudeutsch: "Shitstorm") ab, das der Politik entgegenschlägt. Dass StVO und Verkehrssicherheit durch die bunte Modifikation nicht gefährdet sind, beruhigt da kaum. Manfred Juraczka, Landesparteiobmann und Stadtrat der ÖVP Wien, rechnet 150.000 Wiener Arbeitslose mit der Ampel-Aktion (kolportierte Kosten: 63.000 Euro) auf.
Pensionsantritt im Juni
Ende Juni werden die Ampelpaare übrigens schon ins Ausgedinge geschickt - sehr viel Aufregung für etwa sieben Wochen. Die (mit Lautsprechern und Zeitschaltuhren gepimpten) singenden Kanaldeckel dürften direkt nach dem Finale am 23. Mai für immer verstummen, sich damit begnügen, Kanaldeckel zu sein - und nicht mehr "Merci Cherie" oder "Rise Like A Phoenix" intonieren. Für Gullis auch zugegeben eigenwillige Liedtitel.
Zahlenspiel: Um angenommene Kosten von etwa elf Milliarden Euro für den epochalen Hypo-Skandal wären etwa 8,6 Millionen der neuen Ampelpaare drinnen - damit könnte sich also jeder Bürger und jede Bürgerin im Land eine Ampel anschaffen. Eine eigene.
THOMAS GOLSER