Sonja Wogrin sitzt auf der Terrasse des Instituts für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation in der Inffeldgasse. 2021 hat sie die Leitung des Instituts an der TU Graz übernommen. Am Tisch ein Glas Wasser und einige Unterlagen. Auch ihre wissenschaftliche Assistentin Lia Gruber ist dabei. Die beiden Frauen sind ein eingespieltes Team, ruhig und professionell, aber voller Begeisterung für die Materie.
"In den nächsten Jahren wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Allein der Umbau unseres Energiesystems ist eine Herkulesaufgabe", meint Wogrin. "Das Gute ist: Die rechtlichen Rahmenbedingungen und technischen Lösungen sind inzwischen großteils da." Was noch fehlt, ist eine breit angelegte Umsetzung. Erst kürzlich stellte die EU-Kommission fest, dass Österreichs Stand jetzt die Emissionsziele für 2030 um neun Prozent verpasst.
Tempo ist gefragt
Wie man schneller entscheidende Fortschritte machen könnte, zeigt die Publikation "Social tipping dynamics for stabilizing earth’s climate by 2050". Zu den Autoren gehört auch die Klimaforscherin Ilona Otto vom Grazer Wegener Center. Die Publikation kommt unter anderem zum Schluss, dass es im Energiebereich zunehmend dezentrale Produktion und ein verändertes Subventionssystem der Regierungen und Länder braucht. Erneuerbare Energien müssen rentabler sein als fossile Energiequellen.
Es gibt schon einige gute Beispiele in der Praxis, die in diese Richtung gehen. Etwa in Klagenfurt. In der Wohnanlage der Kärntner Siedlungswerke in der Flatschacherstraße haben sich die Bewohner für eine kostengünstige und dezentrale Energieproduktion durch Fotovoltaik entschieden. Da die oft hohen Netzgebühren für die Fotovoltaikanlage am Dach entfallen, weil der Strom lokal verbraucht wird, sinkt die Stromrechnung für die Mieter.
Den Ideen der Studie kann Sonja Wogrin viel abgewinnen: "Dezentrale Energieproduktion zählt für mich zu den wichtigsten Faktoren, weil man damit die Netze entlasten kann und die Energieerzeugung auf mehrere Schultern verteilen kann." Im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz sind zusätzliche 11 Terawattstunden Strom nur aus Fotovoltaikanlagen vorgesehen, dafür benötigt man eine Fläche von umgerechnet etwa 10.000 Fußballfeldern. "Das geht sich flächenmäßig nur aus, wenn es dezentral geschieht", sagt Lia Gruber und fügt hinzu. "Deshalb ist es extrem wichtig, die Menschen bei der Energiewende mit ins Boot zu holen."
Strom direkt vom Nachbarn
Eine der Möglichkeiten dezentraler Energieproduktion sind Energiegemeinschaften. Ihre Gründung ist seit dem Inkrafttreten des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes im Vorjahr möglich. Ein wichtiger, längst überfälliger Schritt, sagt Gruber: "Ohne Energiegemeinschaften bekommen wir die Energiewende nicht hin." Sie sind ein Zusammenschluss von privaten Haushalten, die gemeinsam Energie produzieren, speichern, verbrauchen und verkaufen. Es kann dabei beliebig viele Produzenten und Konsumenten geben. Dabei sind sie großteils unabhängig vom Strommarkt und profitieren in vielen Fällen auch wirtschaftlich davon. Laut dem Referenten der Koordinierungsstelle für Energiegemeinschaften sind momentan 14 Projekte – verteilt auf nahezu das gesamte Bundesgebiet – in Betrieb, 34 weitere in Umsetzung und 88 in Planung.
Wie so etwas in der Praxis funktionieren kann, zeigt das Beispiel Hartberg, wo Anton Schuller gemeinsam mit seinen Nachbarn eine Energiegemeinschaft gegründet hat. Verwirklicht sind solche Projekte in der Regel wesentlich schneller als ganze Windparks oder große Fotovoltaik-Kraftwerke. "Die Akzeptanz für eine Fotovoltaikanlage im oder vor dem eigenen Garten ist sicher höher, wenn ich selber davon profitiere, als wenn der Staat sie mir hinpflanzt", meint Schuller. Lia Gruber sieht auch einen wichtigen sozialen Aspekt bei Energiegemeinschaften: "Leute, die sich keine Fotovoltaikanlage leisten können, können trotzdem einer Energiegemeinschaft beitreten und den Überschuss der anderen nutzen, der billiger ist als der Netzstrom."
Probleme mit den aktuellen Strompreisen
Das Ganze hat allerdings auch einen kleinen Haken. Denn aktuell sind die Strompreise so stark gestiegen, dass sich die herkömmliche Einspeisung der Fotovoltaik ins allgemeine Stromnetz finanziell lohnt. Das war nicht immer so. Ein kleiner Vergleich zeigt die Dimension: Bewegte sich der Marktpreis für Ökostrom in den Jahren zwischen 2012 und 2020 zwischen 40 und 50 Euro, schnellte er 2022 auf 258 Euro pro Megawattstunde. Sowohl Schuller als auch die Expertinnen Gruber und Wogrin bestätigen dies, betonen aber gleichzeitig auch, dass dies nur eine kurz- bis mittelfristige Situation sei. Wenn sich die Marktlage wieder beruhigt, zahlen sich Energiegemeinschaften für Produzenten und Konsumenten wieder aus.
Die Idee der Energiegemeinschaften steckt noch etwas in den Kinderschuhen. Das Gesetz dazu ist noch frisch, Vorzeigeprojekte entstehen erst und vieles in der Ausführung dauert noch. Das bestätigt auch Anton Schuller, der einer der ersten Gründer einer österreichischen Energiegemeinschaft war. "Die rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es jetzt. Aber komplexe Vorgänge wie die Abrechnung sind momentan ohne Hilfe schwer bewältigbar", sagt Sonja Wogrin. Hier sei es wichtig, dass sogenannte "Aggregators" wie die Energieagentur Steiermark oder die Koordinierungsstelle für Energiegemeinschaften Aufbauhilfe leisten.
Wie lokal aus Abfällen Ökostrom werden kann
Doch Sonnenstrom allein kann uns nicht das ganze Jahr mit erneuerbarer Energie versorgen. Es braucht zusätzliche Energiequellen wie Windkraft, Wasserkraft oder Biogasanlagen. Letztere produzieren dezentral an 280 Standorten österreichweit Biogas aus Reststoffen, Abfällen oder Energiepflanzen. Die meisten Biogasanlagen wandeln das gewonnene Biomethan anschließend in elektrische Energie um und speisen sie ins Stromnetz ein. So auch die Biogasanlage St. Stefan im Rosental, die rund 2700 Haushalte pro Jahr mit Strom versorgen kann. Obmann und Landwirt Rudolf Trummer hebt vor allem den Kreislauf-Gedanken bei der Biogasproduktion heraus: "Wir erzeugen Energie mit Reststoffen und unsere Bauern bringen den Gärrest, der bei der Erzeugung übrig bleibt, als Naturdünger wieder auf die Felder aus."
Sonja Wogrin sieht in Biogasanlagen eine sinnvolle Ergänzung, wenn sie ökologisch verträglich mit Abfällen und Reststoffen betrieben werden. So wie bei den Energiegemeinschaften müssen die Anstrengungen aber noch kräftig nach oben geschraubt werden, um Österreichs Klima- und Energiezielen auch in der Praxis gerecht werden zu können.