Der deutsche Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) schlägt einen Kurswechsel in der Migrationsdebatte vor. Geht es nach dem Beratergremium der Bundesregierung, könnten durch den Klimawandel vertriebene Menschen zukünftig sogar dauerhaft in Deutschland unterkommen. Einen solchen "Klimapass" könnten dann Menschen bekommen, die ihr Territorium dauerhaft verloren haben, weil es beispielsweise durch den steigenden Meeresspiegel untergegangen ist. Bei vorübergehender Zerstörung, wie durch Flut oder Starkregen, soll es eine "Klima-Card" zur vorläufigen Aufnahme geben. Langfristig, aber nicht akut gefährdete Menschen könnten nach den Plänen der Sachverständigen ein "Klimaarbeitsvisum" beantragen.

Wer aufgrund von Naturkatastrophen oder Klimawandel bedingten Entwicklungen flieht, hat aktuell kaum Chancen auf Schutz in einem anderen Land. Das könnte sich nun in Deutschland ändern, wobei die Forderung eines "Klimapasses" dort nicht neu ist. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) empfiehlt bereits seit Jahren ein internationales Reisedokument nach dem Vorbild des Nansen-Passes. Der gewährleistete nach dem Ersten Weltkrieg sowjetischen Flüchtlingen den Schutz in sicheren Ländern und ist ein Vorläufer der Genfer Flüchtlingskonvention. Diese erfasst klimabedingte Migranten aktuell nicht.

Forscherin fordert Maßnahmen vor Ort 

Ilona M. Otto befürwortet solche systemischen Veränderungen und fordert eine Umsetzung auf internationaler Ebene. Sie ist Professorin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. Einen gemeinsamen Geldtopf zum Ausgleich von Klimaschäden an ärmere Länder, wie er bei der letzten Klimakonferenz beschlossen wurde, sieht sie nämlich nicht als die einzige Lösung an. Sobald gewisse Kippelemente im Klimasystem überschritten seien, gebe es nämlich kein Zurück mehr. 

Für Otto sind die wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen die Flucht vor dem Klima eindeutig: Die Menschen brauchen Optionen in ihrer Heimat. Es soll in erster Linie darum gehen, ihnen das Bleiben zu ermöglichen. Einen Umstieg auf regenerative Agrarkultur und einen besseren Umgang mit Ressourcen sieht sie als zielführend. Das soll aber nicht nur in den am stärksten betroffenen Gebieten geschehen, sondern auch in Europa. "Um die schlimmsten Klimafolgen zu vermeiden, müssen wir einfach weniger emittieren", sagt sie. Entwicklungs- und Schwellenländer blasen meist deutlich weniger CO2 in die Luft, leiden aber stärker unter den Folgen des Klimawandels.

lona M. Otto
lona M. Otto © KK

Grazer Verein unterstützt seit 50 Jahren

Unterstützung vor Ort betreiben Entwicklungshelfer wie Burghild Gerhold und ihr Selbstbesteuerungsverein "Erklärung von Graz für solidarische Entwicklung". Dieser fördert seit den 1970er-Jahren Entwicklungsprojekte in der Dritten Welt. Jährlich investieren die 30 Mitglieder rund 10.000 Euro dafür, das restliche Geld für die Aktionen kommt vom Land. Aktuell engagiert sich der Verein stark in Tansania, das umfangreich von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen ist. "Vor zwei Jahren gab es eine sehr lange Regenzeit, die weit über die Maßen gegangen ist und dafür gibt es jetzt lange Trockenzeiten", erzählt Gerhold.

Tansania ist von der Landwirtschaft abhängig, die einfachen Bauern leiden jedoch an einer zunehmenden Bodenerosion, die auch durch den Klimawandel beschleunigt werden kann. Der Verein half unter anderem beim Aufbau einer Wasserleitung, die nun sauberes Trinkwasser in ein Dorf leitet. Dadurch fällt der lange Weg zum nächsten Brunnen weg und die Bewohner des Dorfes können sich inzwischen der Herstellung von Biogas und dem Lernen effizienter Anbautechniken von Lebensmitteln widmen.

Ohne Emissionsrückgang keine Lösung

Obfrau Gerhold sorgt sich aber um die Langlebigkeit der Ideen des Vereins ohne strukturellen Wandel. Große, internationale Firmen kaufen in Tansania Land auf und nehmen den Menschen die Existenzgrundlage, was Wanderungen weiter antreibt. "Wir verursachen Zerstörung, die man auch mit viel Geld nicht mehr reparieren kann", sagt Ilona M. Otto. Für sie gleicht das Engagement von kleinen Vereinen einem Tropfen auf den heißen Stein, denn ohne umfassende Hilfe internationaler Staatengemeinschaften für Betroffene vor Ort und einer Forcierung von globalen Klimaschutzmaßnahmen werde es nicht gehen.

"Wir müssen so rasch wie möglich auf erneuerbare Energiequellen umsteigen", appelliert sie. Immerhin heizt sich die Erde mit den aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise bis 2100 um bis zu drei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung auf, wie es im aktuellen Synthesebericht des Weltklimarates IPCC heißt. In Afrika wird durch den Klimawandel die kontrollierte Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen immer wichtiger. "Wenn das Grundwasser in den Tiefen aufgebraucht ist, dann ist Tansania ausgeliefert", warnt Burghild Gerhold.