Was für manche nach brauchbaren Badebedingungen klingen mag, lässt Forscher besorgt zurück: Erstmals seit Beginn der Messungen vor mehr als 40 Jahren haben die Wassertemperaturen an der Meeresoberfläche im weltweiten Schnitt die Marke von 21 Grad überschritten. Der höchste Wert von 21,1 Grad wurde nach den Daten der US-amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA Anfang April verzeichnet, am 3. Mai lagen die Temperaturen immer noch bei 20,9 Grad – mehr als jemals zuvor um diese Jahreszeit.

Begonnen hatte das Jahr noch mit ähnlichen Wassertemperaturen wie im Vorjahr. Vor allem im März aber legten die Werte laut den Messdaten deutlich zu, durchbrachen zur Monatsmitte jene des alten Rekordjahrs 2016 und sind seither deutlich darüber geblieben. In absoluten Zahlen geht es dabei um relativ kleine Werte hinter dem Komma, die aber für gewaltige Energiemengen stehen. "Wasser hat eine viel höhere spezifische Wärmekapazität als etwa Luft oder Landmassen", schildert Ulrich Foelsche, Atmosphärenphysiker an der Karl-Franzens-Universität Graz. "Damit sich die Meerestemperatur im globalen Schnitt um ein Zehntelgrad erhöht, müssen enorme Energiemengen zugeführt werden."

"Besorgniserregend und beunruhigend"

Von einem "monströsen Effekt, den wir da gerade sehen" spricht folglich Anders Levermann, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). "Man kann daran sehen, dass wir selbst innerhalb der globalen Erwärmung so weit außerhalb der normalen Schwankungen sind, dass das besorgniserregend und beunruhigend ist", sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur DPA. Die Ozeane, die rund 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, vergleicht Levermann mit einer gigantischen Klimaanlage. "Und die läuft gerade warm."

Grafische Darstellung der Meeresoberflächentemperatur vom 3. Mai 2023
Grafische Darstellung der Meeresoberflächentemperatur vom 3. Mai 2023 © NOAA / Climate Reanalyzer

Grund dafür ist der menschenverursachte Klimawandel. "Die Ozeane speichern mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Energie, die wir durch den Treibhausgasausstoß in die Atmosphäre einbringen", sagt Foelsche. Und das sind gewaltige Mengen. Seit Mitte der 1950er-Jahre hat sich nach NOAA-Berechnungen der Energiegehalt in den obersten 2000 Metern der Ozeane um 345 Zettajoule erhöht – eine Zahl mit 21 Nullen, die für mehr als das Achtfache des menschlichen Energieverbrauchs im selben Zeitraum steht (siehe Grafik unten). "So gesehen ist es keine grundsätzliche Überraschung, dass es bei den Ozeantemperaturen neue Rekorde gibt", sagt Foelsche.

Kommt heuer ein neuer Hitzerekord?

Allerdings deute der besonders drastische Anstieg heuer auf einen kräftigen Schub bei der globalen Erwärmung hin. "Wir haben in den vergangenen drei Jahren eine außergewöhnlich lange La-Niña-Phase erlebt, die den globalen Temperaturanstieg etwas abgedämpft hat. Jetzt ist davon auszugehen, dass heuer das Gegenstück, ein El-Niño-Phänomen, auftritt." Die außergewöhnliche Meereserwärmung passe in dieses Bild. "Es ist deshalb zu erwarten, dass wir 2023 ein neues Hitze-Rekordjahr erleben werden. Bei einem sehr stark ausgeprägten El Niño könnten wir sogar erstmals in den Bereich von 1,5 Grad Erwärmung kommen", sagt Foelsche.

Ein Problem ist die ständig steigende Meerestemperatur auch für die Artenvielfalt unter Wasser. Lebewesen weichen, so es ihnen möglich ist, in kühlere Regionen aus, Nahrungsketten werden brüchig, Korallen bleichen aus. Zudem machen die wärmeren Ozeane Extremwetterereignisse wahrscheinlicher. "Es verdunstet mehr Wasser, was einerseits durch eine Rückkopplung den Klimawandel zusätzlich antreibt, andererseits stärkere Niederschläge begünstigt", sagt Foelsche. So gehen Forscher etwa davon aus, dass die besonders heftigen Unwetter, die im vergangenen August den Mittelmeerraum heimgesucht haben, auch eine Folge der außergewöhnlich hohen Wassertemperaturen im Mittelmeer waren.

>>>Aktuelle Infos, Grafiken und Hintergründe zum Klimawandel finden Sie auf unserer Schwerpunktseite Brennpunkt Klima<<<