Zuerst die gute Nachricht: Es existieren etliche wirksame und realisierbare Möglichkeiten, die Treibhausgasemissionen zu verringern und Anpassungsmaßnahmen an die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels vorzunehmen. So ist es im sogenannten Synthesebericht des Weltklimarats IPCC zu lesen, der am Montagnachmittag in Interlaken in der Schweiz vorgestellt worden ist. Die weniger angenehme Botschaft: Die Menschheit gerät immer weiter in Verzug damit, entsprechende Taten zu setzen. "Wir müssen ambitionierter handeln. Wenn wir das jetzt tun, können wir immer noch eine nachhaltig lebenswerte Zukunft für alle sicherstellen", formuliert es der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee.
650 Beteiligte – Forscherinnen und Forscher sowie Vertreterinnen und Vertreter von 195 Regierungen – haben die vergangene Woche in Interlaken damit zugebracht, Satz für Satz um einen Schlusstext zu ringen, der nun vorliegt. Er fasst einerseits kompakt zusammen, was die weltweite Wissenschaft zu Ursachen und Folgen des Klimawandels in den vergangenen Jahren seit dem letzten Weltklimabericht zutage gefördert hat. Andererseits wird damit jener Wissensstand politisch außer Streit gestellt, der künftig als Basis für die weiteren internationalen Klimaverhandlungen dienen wird.
Kommentar zum Thema
Der Mensch als Auslöser
An den Grundlagen des Klimawandels, so halten es die Autorinnen und Autoren des Berichts fest, herrscht kein Zweifel mehr. Der globale Hitzeanstieg ist menschengemacht und inzwischen, verglichen mit den Werten des 19. Jahrhunderts, bei mehr als 1,1 Grad Celsius angekommen. Nie in den vergangenen zwei Millionen Jahren lag die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre so hoch wie heute (bei inzwischen rund 420 ppm, also Millionstelteilen). Und die weltweiten Treibhausgasemissionen wachsen immer weiter, auch wenn sich die Zuwachsrate zuletzt (zwischen 2010 und 2019) erstmals abgeschwächt hat.
Als eine der Folgen klettert auch der Meeresspiegel immer rascher nach oben. Lag der Anstieg zwischen 1901 und 1971 im Schnitt noch bei 1,3 Millimetern pro Jahr, steigerte er sich zwischen 1971 und 2006 auf 1,9 und zwischen 2006 und 2018 auf 3,7 Millimeter. "Der Anstieg wird weitergehen, egal was wir unternehmen, weil die entsprechenden Entwicklungen bereits in Gang gesetzt sind", sagt Gerhard Krinner, Klimaphysiker an der Universität Grenoble und einer der Leitautoren des Syntheseberichts. "Was wir aber bewirken können, ist, dass der Anstieg sich verlangsamt."
Irreversible Schäden
Bereits heute häufen sich Wetterextreme, rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist bereits zumindest einmal pro Jahr mit Wasserknappheit konfrontiert, die Ernährungssicherheit schrumpft. Zudem hat die Erwärmung laut dem Bericht "substanzielle Schäden und zunehmend irreversible Verluste" an Ökosystemen an Land und in den Meeren verursacht. Um sie künftig abzumildern, zähle jeder Zehntelgrad an vermiedenem Hitzeanstieg, sagt Krinner. "Es ist nicht so, dass wir plötzlich in einen Abgrund stürzen, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreichen. Aber es tun sich immer mehr Abgründe auf, je wärmer es wird. Wir sind auf einem rutschigen Abhang unterwegs, der immer steiler wird."
Die drei Teile des 6. Weltklimaberichts
Die Welt steuere mit jeder kleinen weiteren Erwärmung auf "multiple, rapide wachsende Gefahren" zu, heißt es im Bericht der Forscher. Der globale Wasserkreislauf gerät aus dem Takt, extreme Hitzewellen und Trockenphasen werden häufiger und drohen, weite Teile bewohnter Regionen (etwa in der Sahelzone) unbewohnbar zu machen. Waldbrände und tropische Stürme werden in vielen Regionen heftiger. Derzeitige hundertjährliche Küstenüberflutungen dürften nach den Erwartungen der Wissenschaftler im Jahr 2100 bereits jährlich auftreten.
Wie die Zeit zerrinnt
Um die schlimmsten Folgen zu vermeiden, muss der Treibhausgasausstoß kräftig sinken. 2019 lagen die weltweiten Emissionen bereits bei rund 59 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalent – so viel wie nie zuvor. Um das im Pariser Klimaabkommen festgehaltene Ziel von maximal 1,5 Grad Erhitzung noch einzuhalten, müssten die weltweiten Emissionen bis 2030 um 43 Prozent und bis 2035 bereits um satte 60 Prozent sinken. Für das 2-Grad-Ziel wäre eine Reduktion um 21 Prozent (2030) bzw. 35 Prozent (2035) erforderlich. Mit den bislang umgesetzten Klimamaßnahmen allerdings droht bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung um 3,2 Grad. Halten die Staaten zumindest alle bisher getätigten Reduktionsversprechungen bis 2030 ein, steht laut dem Bericht immer noch ein Temperaturanstieg von 2,8 Grad bevor.
Für Matthias Garschagen, Professor für Anthropogeografie an der Maximilians-Universität München und Autor des aktuellen Berichts, ist der Befund klar: "Die Risiken des Klimawandels fallen stärker aus, als wir das vor acht Jahren noch gedacht hatten. Wir wissen auch sehr detailliert, was getan werden müsste, aber die Staaten kommen von den Zielen auf dem Papier nicht ausreichend ins Handeln." Offensichtlich ist mittlerweile, dass das 1,5-Grad-Ziel – wenn überhaupt – nur noch erreichbar sein dürfte, wenn die Temperaturen zwischenzeitlich für mehrere Jahrzehnte die Marke durchbrechen, um anschließend durch CO₂-Entnahmemaßnahmen aus der Atmosphäre wieder zu sinken. "Auf solche Maßnahmen darf man sich aber keinesfalls alleine verlassen", sagt Garschagen. "Der Bericht zeigt deutlich auf, mit welchen brachialen Risiken ein solcher zeitweiliger Überschuss verbunden ist – von dauerhaften Verlusten ganzer Ökosysteme bis hin zum möglichen Auslösen von Kipppunkten im Klimasystem."
Regierungen müssen gegensteuern
Die einzige dauerhaft wirksame Maßnahme gegen die Erderhitzung bleibt laut dem Bericht weiterhin, die Treibhausgasemissionen rasch zurückzufahren. Und zwar über alle Sektoren hinweg, die "weitreichende Transformationen" durchlaufen müssen. Gefordert seien dabei nicht zuletzt die Regierungen. So empfiehlt der Bericht unter anderem auch, CO₂ zu bepreisen und Förderungen für fossile Energieträger abzustellen. "Die Entscheidungen, die in den kommenden Jahren dazu getroffen werden, sind entscheidend für die Gestaltung unserer Zukunft und der künftiger Generationen", heißt es in einem Pressestatement des IPCC.