Der Klimawandel könnte nach Ansicht führender Experten im schlimmsten Fall zum Aussterben der Menschheit führen. Bisher wisse man zu wenig über solche Endzeit-Szenarien und deren Wahrscheinlichkeit, schreibt ein internationales Team in der US-Fachzeitschrift "PNAS". "Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Klimawandel katastrophale Ausmaße annehmen könnte", so die Wissenschaftler. Die Welt müsse anfangen, sich auch auf Endzeit-Szenarien vorzubereiten.
Schlimmstmögliche Folgen der Erderwärmung
Unter der Überschrift "Klima-Endspiel: Erforschung katastrophaler Szenarien des Klimawandels" plädieren die Autoren in den "Proceedings" der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS") für ein umsichtigeres Risikomanagement und mehr Forschung zu den schlimmstmöglichen Folgen der Erderwärmung. Trotz 30-jähriger Bemühungen seien die durch den Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen weiter gestiegen. "Selbst wenn man den schlimmsten Fall von Klimaänderungen außer Acht lässt, ist die Welt auf dem besten Weg, bis zum Jahr 2100 einen Temperaturanstieg zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu erleben."
Dennoch seien die Folgen einer Erwärmung um drei Grad bisher nicht ausreichend untersucht. Die Forschung fokussiere sich auf Szenarien, bei denen die Folgen des Klimawandels moderat seien. "Sich einer Zukunft mit beschleunigtem Klimawandel zu stellen, ohne die schlimmsten Szenarien zu bedenken, ist bestenfalls naives Risikomanagement und schlimmstenfalls fatal töricht", heißt es. An dem Aufsatz waren unter anderem der frühere und ein aktueller Direktor des deutschen Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans Joachim Schellnhuber und Johan Rockström, beteiligt.
Für den Klimaforscher Niklas Höhne von der Universität Wageningen ist das Worst-Case-Szenario des Aussterbens noch "relativ weit weg". "Aber davor gibt es Abstufungen", sagte der Experte, der nicht an dem Artikel beteiligt war. "Dass ganze Landesteile und Länder nicht mehr bewohnbar sind, ist durchaus wahrscheinlich." In ihrem Artikel schreiben die Forscher über die Ausweitung von Gebieten mit extremer Hitze – also einer jährlichen Durchschnittstemperatur von über 29 Grad Celsius. Gegenwärtig seien davon rund 30 Millionen Menschen in der Sahara und an der Golfküste betroffen. Laut Modellierungen des Teams könnten bis 2070 zwei Milliarden Menschen in solchen Gebieten leben.
Das zeige, wie komplex Klimafolgen sein könnten. "Bis 2070 werden diese Temperaturen und die sozialen und politischen Folgen zwei Atommächte und sieben Hochsicherheitslabore, in denen die gefährlichsten Krankheitserreger untergebracht sind, direkt betreffen", sagt Ko-Autor Chi Xu von der chinesischen Universität Nanjing. "Es besteht ein ernsthaftes Potenzial für katastrophale Folgewirkungen." Die Wissenschaftler plädieren deshalb dafür, komplexere Zusammenhänge in künftige Risikobewertungen einzubeziehen. Sie warnen vor einer "Risikokaskade", bei der einzelne Folgen des Klimawandels weitere Probleme auslösen. So könnten Hitze und unbewohnbare Gegenden etwa zu Migration, sozialen Unruhen und internationalen Konflikten führen.
"Wir verstehen immer mehr das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen von Klimawandel und anderen Bereichen wie Biodiversität, Ökonomie oder auch Nahrungsmittelproduktion", sagt Daniela Jacob, Direktorin des German Institute for Climate Services (GERICS), die nicht an dem Artikel beteiligt war. "Jetzt ist man so weit, dass man dieses Wissen zusammentragen kann und somit wichtige Erkenntnisse für das Überleben des Erdsystems generiert."
Besonders gefährlich seien die Folgen des Klimawandels mit Blick auf Kipppunkte, schreiben die Wissenschaftler. Diese Schwellenwerte sind vergleichbar mit einer Tasse auf einem Tisch: Schiebt man sie Richtung Rand, passiert zunächst nichts – bis sie an einen Kipppunkt gerät, an dem sie abstürzt. Für den Klimawandel heißt das etwa: Die Schmelze in einer Eisregion erreicht einen Punkt, an dem sie nicht mehr aufzuhalten ist. Sind Eisregionen abgeschmolzen, ist das Eis erst einmal weg. Besonders gefährlich sei dies, wenn ein Kipppunkt zu einem weiteren führe.
Nach Ansicht der Autoren hat sich auch der Weltklimarat (IPCC) noch nicht ausreichend mit möglichen katastrophalen Folgen des Klimawandels befasst. Keiner der 14 Sonderberichte des IPCCs behandele extreme oder katastrophale Klimaveränderungen. Sie sollten den Autoren zufolge im nächsten Bericht berücksichtigt werden.
"Analyse triggert Forschung"
Jacob, die selbst Leitautorin eines IPCC-Sonderberichts war, spricht sich ebenfalls dafür aus. "Ich fände das richtig, weil es zwei Dinge tut: Ein Sonderbericht sammelt zum einen den Stand des Wissens zum Thema. Das zeigt, ob wir genug wissen oder Lücken haben", sagt sie. "Und zum anderen triggert diese Analyse Forschung." Ob solche Szenarien aber außerhalb der Wissenschaft diskutiert werden sollten, sei fraglich. "Das ist für mich ein Schritt zu früh", sagt sie. "Im Dialog mit der Öffentlichkeit kommt man mit solchen Endzeit-Szenarien nicht weiter, wenn man noch nicht weiß, was genau auf einen zukommen kann, wann das passieren könnte und was man tun muss, um das Schlimmste zu verhindern."
Höhne hält es dagegen für wichtig, Menschen über Worst-Case-Szenarien aufzuklären. "Wir müssen klar kommunizieren, was die Risiken sind. Und auf der anderen Seite sagen: Wir haben es noch in der Hand", sagt der Forscher. "Wir wissen, wie es geht, wir haben die Technologien und kennen die politischen Maßnahmen. Es ist nicht einmal teuer, langfristig sogar billiger, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen."