Sie haben zur Klimakonferenz in Glasgow 28 Stunden Anreise mit der Eisenbahn hinter sich: Ein persönlicher Rekord?
LEONORE GEWESSLER: (überlegt länger) Ich glaube, das ist tatsächlich die längste Zugreise, die ich je gemacht habe. Die Strecke nach Brüssel oder nach Luxemburg fahre ich ja regelmäßig für die EU-Räte, zuletzt war ich auch nach Amsterdam unterwegs. Das ist für mich schon Routine. Ich nutze die Zeit im Zug, um zu arbeiten, das ist für mich eine sehr produktive Art des Reisens.
Hand aufs Herz: Hätte Leonore Gewessler auch als Privatperson den Zug nach Glasgow genommen, wenn sie nicht als Ministerin unter medialer Beobachtung stünde?
Ich habe auch in meinem vorherigen Job den Nachtzug gewählt. Ich fahre tatsächlich sehr gerne damit, wann immer es geht. Und aus Wien geht es mittlerweile sehr gut. Am 13. Dezember darf ich bei der Nachtzug-Premierenfahrt nach Paris mit dabei sein.
Andere prominente Teilnehmer der Klimakonferenz wie Joe Biden, Boris Johnson oder Ursula von der Leyen sind mit Businessjets angereist und haben dafür medial Prügel bezogen. Zurecht?
Ich fahre mit dem Zug, weil ich das, was ich politisch vertrete, auch versuche persönlich zu leben. Diese Entscheidung ist eine sehr bewusste, aber auch ich werde fliegen, wenn es nicht anders geht. Solche Termine gibt es, zum Beispiel die Biodiversitätskonferenz in China kommendes Jahr.
Manchmal muss man in den sauren Klima-Apfel beißen?
Die Zukunft der Kurz- und Mittelstrecke in Europa ist die Bahn, die wir zum Rückgrat unserer Mobilität machen müssen. Aber, ja, wir werden auf langen Strecken auch in Zukunft fliegen.
Seit sich die Welt vor sechs Jahren in Paris auf ein gemeinsames Klimaabkommen geeinigt hat, gab es nur noch minimale Fortschritte. Sind solch riesige Gipfel-Events wie derzeit hier in Glasgow überhaupt noch sinnvoll?
Die Klimakonferenzen sind aus vielen Gründen wichtig. Einerseits weil sie zwei Wochen lang die gesamte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Klimaschutz fokussieren. Das erzeugt politischen Druck und Sog. Das sehen wir ja auch an den Ankündigungen der letzten Tage: Immer mehr Staaten haben ihre Ziele nachgebessert, zuletzt auch China. Das hat uns erstmals in ein Stadium gebracht, dass wir mit all den Zielformulierungen unter zwei Grad Erwärmung bleiben können, auch wenn das Ende der Fahnenstange damit noch nicht erreicht ist. Außerdem gibt uns das Klimaabkommen von Paris ein internationales Regelwerk, das ebenfalls eine Dynamik und eine Bindungswirkung erzeugt. Hier in Glasgow geht es gerade darum, das Regelwerk so abzuschließen, dass man damit gut arbeiten kann, um das Pariser Abkommen mit Leben zu erfüllen.
Die meisten Staaten haben bislang aber nur allgemeine Versprechungen abgegeben ohne konkrete Maßnahmen. Kritiker wie Greta Thunberg sprechen von heißer Luft und einem Greenwashing-Gipfel. Liegen sie falsch?
Die Klimakonferenzen sind der einzige Prozess beim internationalen Klimaschutz, bei dem wirklich alle gleichberechtigt am Tisch sitzen. Dass die Zivilgesellschaft kritisch ist, dass Greta Thunberg dort ist und den Finger in die Wunde legt, das alles ist wichtig. Das zeigt ja, dass der politische Druck da ist und wirkt.
Aber die Emissionen steigen wieder an, der Rückgang durch die Coronakrise ist bereits wieder verspielt. Ist der Zug für das globale Ziel von maximal 1,5 Grad Erwärmung in Wahrheit nicht bereits verpasst?
Jedes Zehntelgrad macht einen Unterschied, weil es reale Auswirkungen hat. Das 1,5-Grad-Ziel ist noch erreichbar, aber nur, wenn wir alle miteinander mehr tun. So wie wir in Österreich im Klimaschutz eine große Aufholjagd gestartet haben, müssen das viele Länder machen.
Die Aktivisten von Fridays for Future und die Initiatoren des Klimavolksbegehrens haben vergangene Woche wissen lassen: „Wer sagt, Österreich sei beim Klimaschutz ein Vorreiter, sagt die Unwahrheit.“
Was zweifellos stimmt, ist, dass Österreich 30 Jahre lang oft über den Klimaschutz geredet, aber zu wenig getan hat. Wir sind mit Stand 2019 eines von nur sechs europäischen Ländern, dass es nicht geschafft hat, seit 1990 Emissionen zu reduzieren. Das heißt natürlich, der Handlungsauftrag ist jetzt riesig. Umso intensiver müssen wir jetzt Maßnahmen setzen. Wir nützen konsequent jeden Hebel, den wir haben, für den Klimaschutz.
Dennoch fehlt Österreich als Grundlage dafür das lange versprochene Klimaschutzgesetz.
Wir haben in den letzten Monaten sichergestellt, dass wir mit den Maßnahmen, von der Steuerreform bis zum Klimaticket, in den Zug des Klimaschutzes endlich einsteigen. Der nächste Schritt wird jetzt das Klimaschutzgesetz sein. Auch das werden wir auf den Boden bringen.
Wird es heuer noch einen offiziellen Entwurf geben?
Wir arbeiten intensiv daran.
Im Frühjahr wurde ein Entwurf aus Ihrem Ressort bekannt, der auch Notmaßnahmen wie höhere Spritpreise für den Fall vorsah, dass Österreich seinen CO2-Verpflichtungen nicht gerecht wird. Von Ihrem Koalitionspartner kam starker Gegenwind. Bleiben Sie dabei, dass es einen solchen Automatismus als „Plan B“ braucht?
Wir müssen im Klimaschutz einige Dinge anders machen als in der Vergangenheit. Da gab es, wenn wir die Ziele verfehlt haben, kurzes Schulterzucken und danach ging alles weiter wie bisher. Dafür haben wir keine Zeit mehr. Also müssen wir uns überlegen, was wir tun, wenn wir unsere Ziele verfehlen. Genau dafür bietet ein Klimaschutzgesetz einen Rahmen.
Der in der Steuerreform festgelegte CO2-Preiskorridor von 30 bis 55 Euro innerhalb der nächsten Jahre wird von Experten als viel zu niedrig kritisiert. Ist hier noch ein nachträgliches Nachschärfen denkbar?
Wir haben 30 Jahre lang in Österreich über CO2-Bepreisung geredet. Und jetzt gibt es sie endlich. Das ist ein riesiger Schritt und ein wichtiger Baustein in der Klimapolitik. Wir haben uns für einen fixen Anstiegspfad bis 2025 entschieden, auf den sich die Wirtschaft und die Menschen einstellen können.
An der Preishöhe wird nicht mehr geschraubt?
Ich denke, wir haben uns für einen guten Einstieg und auch einen guten Anstieg entschieden.
Die OMV, zu 31,5 Prozent in Staatsbesitz, hat heuer wieder deutlich mehr Erdöl gefördert als im Jahr davor und steckt immer noch dreistellige Millionensummen in die Suche nach Öl und Gas. Kann das auf alle Zeit so weitergehen?
Für Unternehmen, die im Kerngeschäft fossile Energie haben, bedeutet Klimaneutralität eine große Änderung des Geschäftsmodells. Wir sehen ja auch international, dass sich Öl- und Gaskonzerne umorientieren und sich neue Geschäftsfelder erarbeiten. Klimaneutralität heißt, raus aus den fossilen Energien, rein in die Erneuerbaren. Damit steht auch die OMV vor einer strategischen Entscheidung und muss diese Zukunft auch für sich definieren.
Viel Zeit dürfte dafür angesichts der Klimaziele Österreichs nicht bleiben?
Die Zeit drängt. Sowohl im Klimaschutz als auch für die Strategieentscheidung bei der OMV.