In Fukushima führte ein Tsunami zu einer Katastrophe, vor einem Monat musste ein Block des AKW Temelín wegen schwerer Unwetter heruntergefahren werden. Extreme Wetterlagen nehmen zu. Wie gefährdet sind die Meiler rund um Österreich?
NIKOLAUS MÜLLNER: Europas Atomkraftwerke sind auf extreme Wetterereignisse ausgelegt. Bevor ein AKW gebaut werden darf, muss am Standort drei Jahre lang das Wetter dokumentiert werden. Zusätzlich muss man sich mit historischen Wetter-Ereignissen beschäftigen und auch diese beim Bau berücksichtigen.
Ist der Klimawandel bei diesen Berechnungen eingepreist?
Nein, das ist eines der Probleme. Und das lässt sich auch nicht so einfach lösen, weil niemand sagen kann, mit welchen konkreten Auswirkungen in welchen Zeiträumen zu rechnen sein wird. Fairerweise muss man sagen, dass seit dem Vorfall in Fukushima schon viel nachgerüstet wurde. Allerdings dauern diese Maßnahmen sehr lange, sind teilweise noch immer nicht abgeschlossen. Zudem wird man damit niemals Standards erreichen, wie sie bei einem Neubau vorgesehen sind.
Wie hätte man in Europa reagieren müssen?
Hier gibt es viele Kompromisslösungen, aber keinen einheitlichen Standard auf Basis der neuen Erkenntnisse. In Japan hat man das meiner Meinung nach besser gelöst. Dort mussten alle AKW um eine neue Bewilligung ansuchen.
Woran scheitern wir in Europa?
Es gibt eine Richtlinie der EU, die aber so allgemein gehalten ist, dass es hier viel Interpretationsspielraum gibt. Dazu ist das Alter vieler Meiler ein Problem. Die Schweizer Atomaufsicht wollte etwa eine maximale Betriebsdauer für das AKW Beznau – eines der ältesten der Welt – festlegen, scheiterte aber. Das Resultat ist nun, dass auch Beznau keiner Laufzeitbegrenzung unterliegt. Auch in EU-Ländern setzt man immer wieder auf Laufzeitverlängerungen, weil das vergleichsweise billig und einfach ist.
Welche Wetterphänomene sind denn am problematischsten?
Vermutlich starke Winde oder Hochwasser. Die gängigen Leichtwasserreaktoren brauchen ja sehr viel Wasser zur Kühlung und sind daher oft in Gewässernähe gebaut. Das ist meist unerlässlich.
Also genau da, wo die Hochwasser ihren Ursprung haben.
Genau. Dazu sei noch erwähnt, dass die Flüsse bei diesen Entwicklungen immer mehr Wärme aufnehmen müssen und damit auch die Biosphären unmittelbar gefährdet sind. Das bedeutet, dass in Hitzeperioden entweder die Kraftwerke zurückgefahren werden müssen – oder man beispielsweise Fischsterben in Kauf nehmen muss.
Atomkraft wird oft als Antwort in der Energiewende verkauft.
Wenn nichts passiert, ist Kernenergie vergleichsweise sauber. Allerdings gibt es Studien, die anderes nahelegen. Das Uran muss ja auch abgebaut und transportiert werden, was wiederum CO2 freisetzt. Es gibt Forschungsergebnisse, die einer Kilowattstunde Atomstrom fast den gleichen CO2-Abdruck zuschreiben, wie einer aus einem modernen Gaskraftwerk.
Und zur Energiewende: Bis ein neues AKW in Betrieb gehen kann, vergehen gut und gerne 20 Jahre. Bis dahin sollten wir in Europa aber schon CO2-neutral wirtschaften. Außerdem haben wir noch immer keine Lösung für radioaktive Abfälle. In Finnland wird ein Endlager gebaut, das auch mit Wassereinbrüchen rechnet. Dem wollte man mit Ummantelung aus Kupfer begegnen – bis man merkte, dass auch das viel schneller korrodiert, als bisher angenommen.
Wie viele AKW werden gerade in Europa gebaut?
Es gibt fortgeschrittenere Projekte in Frankreich, Finnland und Ungarn.
Und Krsko?
Ob hier wirklich ein weiterer Block gebaut wird, ist meiner Meinung nach noch offen. Auch, weil der Betreiber Westinghouse wirtschaftliche Probleme hat.
Matthias Reif