Da war es wieder, das so gerne strapazierte Bild. Österreich sei immer noch „Vorreiter im Klimaschutz“, betonte Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, zur Wochenmitte. Diese Zuschreibung mag der österreichischen Seele entsprechen und nutzbar sein, wenn man die Notwendigkeit strengerer Klimaziele in Abrede stellen möchte. Mit den Fakten deckt sie sich längst nicht mehr. Tatsächlich ist die Republik weit ins Abseits europäischer Klimaschutzpfade geraten, zu lange lag das Thema innenpolitisch brach.
Den jüngsten Beleg dafür gab es erst Anfang des Monats. Im jährlichen Klimaschutzindex, erstellt von drei internationalen NGOs anhand der Klimapolitik von 57 Staaten und der EU, landete Österreich auf dem 35. Platz. Die EU als Gesamtheit kam auf Rang 16. Ein Ergebnis, mit dem man „nicht zufrieden sein“ könne, ließ Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) wissen. In Österreichs Klimapolitik ist das bereits als Fortschritt zu werten. Noch vor drei Jahren hatte Gewesslers Vorvorgänger im Amt, Andrä Rupprechter (ÖVP), die Diskussion über das damals gleich schlechte Abschneiden Österreichs mit den Worten beendet, das Ranking „einfach nicht ernst“ zu nehmen.
Größere Autos, mehr Treibhausgase
Doch die Reihung kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich hat es Österreich über viele Jahre zugelassen, dass die Treibhausgasemissionen regelrecht davongaloppiert sind. Nach einem Spitzenwert im Jahr 2005 begann der CO2-Ausstoß zunächst zwar wieder zu sinken, um dann aber zu stagnieren und im vergangenen Jahr laut Vorabberechnung des Umweltbundesamts erneut zu wachsen. Besonders drastisch ist die Lage beim Verkehr, dessen Emissionen binnen drei Jahrzehnten um mehr als 70 Prozent zulegten. Die Autos der Österreicher werden von Jahr zu Jahr größer, stärker und mehr, was Einsparungen durch effizientere Technologie zunichtemacht. Dienstwagen boomen dank Steuerbegünstigungen, auch die Pendlerunterstützung fließt traditionell ohne ökologische Komponente.
Die Folge: Österreich stößt heute mit knapp 80 Millionen Tonnen jährlich mehr Treibhausgase pro Jahr aus als 1990. Dass so etwas kein Naturgesetz ist, zeigt der Vergleich: Die EU als Gesamtheit hat es geschafft, die Emissionen im selben Zeitraum um 23 Prozent zu senken, Schweden erreichte minus 27 Prozent, Dänemark minus 32.
Entsprechend weit ist Österreich davon entfernt, seine derzeit gültigen 2030-Klimaziele von minus 36 Prozent CO2 (verglichen mit 2005) zu erreichen. Der Fiskalrat der Republik hat errechnet, dass dem Land bis 2030 Kosten von 2,1 bis 4,2 Milliarden Euro drohen, weil Nachkäufe von Emissionszertifikaten fällig werden.
Die nunmehrige Erhöhung des EU-Klimaziels auf minus 55 Prozent dürfte für Österreich laut Vorabberechnungen zur Folge haben, dass die nationalen Emissionen bis 2030 sogar um die Hälfte sinken müssen. Um eine Bepreisung von CO2 werde das Land deshalb nicht umhinkommen, konstatierte Fiskalratspräsident Martin Kocher bereits im Herbst. Auch ein Ende des Dieselprivilegs und eine höhere Mineralölsteuer seien künftig wohl nötig.
Corona als Aufschubgrund?
Derartiges wäre auch im türkis-grünen Regierungsprogramm verankert, samt angestrebter Klimaneutralität im Jahr 2040. Doch auf Schiene ist von den Maßnahmen bislang nicht viel mehr als Beiwerk. „Das 1-2-3-Ticket und die Änderungen bei der NoVA sind wichtige Schritte, aber sie reichen bei Weitem nicht aus“, sagt Thomas Schinko vom International Institute für Applied Systems Analyses (IIASA) in Laxenburg. „Die Covid-19-Krise darf kein Aufschubgrund für Klimamaßnahmen sein, sondern ein Wendepunkt.“
In einem gemeinsamen Appell mit inzwischen mehr als 500 anderen Forschern tritt Schinko dafür ein, Österreichs Klimaschutzpfad in überprüfbaren Fünf-Jahres-Schritten festzuschreiben. Ansonsten, so meinen die Wissenschaftler, drohe vom obersten Klimaziel am Ende wieder einmal nicht viel mehr übrig zu bleiben als eine schöne Zahl.