Ärzte ohne Grenzen international fordert, dass Biontech/Pfizer Formel und Technologie seines Corona-Impfstoffs für Produzenten in ärmeren Ländern zur Verfügung stellt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
LEO HO: Natürlich wäre das gut. Im Zuge der Pandemie zeigte sich die Kluft zwischen reicheren und ärmeren Ländern wieder deutlicher, die reicheren konnten sich die Impfstoffe einfach leisten und die ärmeren Länder in Afrika und anderen ärmeren Regionen schauten vielfach durch die Finger. Am besten wäre es, wenn alle Welt Zugang zu Corona-Impfstoffen hätte und wenn diese Impfstoffe auch noch kostenlos wären.
Zahl der Corona-Infektionen auf dem afrikanischen Kontinent steigt jede Woche um 25 Prozent und die Delta-Variante wurde inzwischen in 14 afrikanischen Ländern nachgewiesen. Afrika – ist das der vergessene Kontinent?
In dieser Pandemie zeigt sich ganz klar, dass sich kein Erdteil abkoppeln kann, dass kein Erdteil vergessen werden darf, dass diese Pandemie nur beherrschbar wird, wenn die Welt insgesamt zusammenarbeitet. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn es zwar auf der einen Seite gut ausgestattete funktionierende Gesundheitssysteme gibt und auf der anderen schwache oder gänzlich fehlende.
Was muss geschehen?
Ich habe auch Public Health studiert und es ist ganz klar, was es braucht: Wir nennen das die sozialen Determinanten von Gesundheit. Damit sind, vereinfacht ausgedrückt, all jene Bedingungen gemeint, in die Menschen hineingeboren werden, unter denen sie aufwachsen, arbeiten und altern. Und diese Standards müssen weltweit steigen und verbessert werden. Die sozialen Determinanten beeinflussen über materielle, psychosoziale, verhaltensbezogene und intergenerationelle Mechanismen die Verteilung von Gesundheit und Krankheit in der Gesellschaft.
Sie waren im Vorjahr für Ärzte ohne Grenzen im Corona-Einsatz in der Slowakei: Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?
Es war unglaublich intensiv. Während der ersten Welle wurde die Slowakei von Corona ein wenig verschont, dann kam die zweite Welle im Winter, und da wurde es wirklich ernst. Das war eine harte Zeit. Die Spitäler waren so überfüllt. Es gab nicht genügend Räume für die Patienten. Und was uns alle fertiggemacht hat: Es gab nicht mehr genug Intensivplätze. Und auch der Sauerstoff ging aus.
Was passierte?
Die Corona-Infizierten mussten in den Pflegeheimen bleiben, weil es in den Spitälern einfach keinen Platz mehr gab. Das war schwer mit anzusehen, dass Menschen, die sofort intensivmedizinisch betreut werden mussten, nicht die adäquate medizinische Versorgung bekamen. Das Sterben in den Pflegeheimen anschauen zu müssen und nichts tun zu können, das hat uns alle sehr belastet.
Warum wurden Sie Mitarbeiter bei Ärzte ohne Grenzen?
In meiner Studienzeit besuchte ich einmal einen Freund in Mexiko. Ich freundete mich dort mit einer Gruppe kleiner Kinder an, die fast täglich auf der Straße nicht weit von meiner Unterkunft spielten. Eines Nachts, Wochen später, sah ich die gleiche Gruppe von Kindern weit nach Mitternacht in den Straßen herumlungern. Mir wurde plötzlich klar, dass sie kein Zuhause hatten, nur einander. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich ziemlich frustriert und hilflos, keine sinnvolle Hilfe anbieten zu können. Als ich später die Entscheidung traf, mich auf Pädiatrie zu spezialisieren, vergaß ich dieses Erlebnis nie. Mit Ärzte ohne Grenzen habe ich einfach die Chance, dieser Ungerechtigkeit etwas entgegenhalten zu können.
Was denken Sie: Was wird nach Corona die große Herausforderung?
Die Klimakrise. Auf der einen Seite sehen wir die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltverschmutzung in unseren Einsätzen, auf der anderen sind wir als Organisation selbst gefragt, unseren ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Wir müssen uns fragen, wie auch wir unsere Arbeitsweisen verbessern können, Besprechungskulturen der teils internationalen Teams auch nach der Corona-Pandemie online gestalten, um beispielsweise unnötige Flugreisen zu streichen. Wir alle müssen diesbezüglich unseren Beitrag leisten.