Australien ist mit knapp über 30.000 Covid-19-Infektionen und 910 Todesfällen bisher verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen. Doch Melbourne und den dazu gehörenden Bundesstaat Victoria hat es deutlich härter getroffen als den Rest des Landes.
Im letzten Winter auf der Südhalbkugel mussten die Menschen dort über 112 Tage hinweg einen der strengsten Lockdowns weltweit ertragen. Damals war ein Corona-Ausbruch außer Kontrolle geraten: Mehr als 20.000 Infektionen und 820 Todesfälle waren die Folge gewesen.
"Wir müssen jetzt handeln"
Der derzeitige Ausbruch – mit augenblicklich 26 Fällen – hat Anklänge an die Situation aus dem vergangenen Jahr. Besonders beunruhigt sind die Behörden, da es sich um die indische Variante B.1.617.1 handelt. Diese ist zwar nicht die ansteckendste Variante, die derzeit in Indien zirkuliert, doch laut Experten ist sie mindestens so ansteckend wie die in Großbritannien vorherrschende Variante B.1.1.7. „Wenn wir ein Familienmitglied infiziert vorfinden, dann ist meist der gesamte Haushalt infiziert“, sagte Victorias Gesundheitsbeauftragter Brett Sutton in einer Pressekonferenz am Donnerstag. „Es geht wirklich schnell und führt zu einem exponentiellen Anstieg.“
Die aktuelle Variante würde sich „schneller ausbreiten“, als was man es je zuvor gesehen habe, betonte auch der amtierende Ministerpräsident von Victoria, James Merlino. Bei der Kontaktverfolgung an den insgesamt 150 Standorten, an denen Menschen möglicherweise dem Virus ausgesetzt waren, hätten die Gesundheitsbehörden bereits 10.000 primäre und sekundäre Kontakte identifiziert. Einige der Infizierten hatten ein Stadion, Restaurants, Fitnessstudios und Clubs besucht. „Wir müssen jetzt handeln“, sagte Merlino.
Strenge Maßnahmen
Australien reagiert stets mit drastischen Maßnahmen auf Covid-Ausbrüche. Auch dieses Mal werden die Menschen in Melbourne und Umgebung dazu gezwungen, möglichst zu Hause zu bleiben. Sie dürfen ihr Haus nur verlassen, wenn sie einem essenziellen Beruf nachgehen, um einzukaufen, Sport zu treiben, um im Notfall zu helfen oder um sich gegen Covid impfen zu lassen.
Besuche und vor allem größere Versammlungen sind verboten, die Schulen stellen erneut auf Online-Unterricht um. Auch die Fünf-Kilometer-Regel, das heißt, dass sich keiner weiter als fünf Kilometer von seinem Zuhause entfernen darf, wird wieder aktiviert. Zudem ist ab sofort das Tragen von Masken wieder Pflicht. Mehrere andere Bundesstaaten im Land haben als Reaktion auf den Cluster ihre Grenzen zu Victoria geschlossen und den Staat damit quasi isoliert.
Infektion über Quarantäne-Hotel
Die derzeitigen Infektionen können alle auf einen Mann zurückgeführt werden, der nach einem Auslandsaufenthalt seine Quarantäne-Zeit in einem Hotel in Südaustralien verbrachte. Seine dortigen Covid-Tests waren zunächst negativ. Doch sechs Tage nach dem Rückflug nach Melbourne entwickelte er dann Symptome und testete schließlich positiv.
Dass trotz geschlossener Außengrenzen und Quarantänepflicht für Einreisende immer wieder Covid-Fälle in Australien auftreten, die bisher meist mit kurzen lokalen Lockdowns gelöst wurden, hat in den vergangenen Wochen und Monaten bereits zu Kritik am System der Hotel-Quarantäne geführt. Zwischenzeitlich war eine Isolierstation wie in Zeiten von Typhus und Cholera angedacht, doch die Bundesregierung konnte sich bisher nicht zum Handeln durchringen. Doch die Situation in Victoria scheint den Plänen nun Aufwind gegeben zu haben. So versprach Australiens Premierminister Scott Morrison am Donnerstag, den Bau eines Quarantänezentrums, das ausgerechnet in Victoria entstehen soll, nun zu priorisieren.
Impfstoffengpässe und eine zögerliche Bevölkerung
In der Kritik stand am Donnerstag aber auch die bisher eher zögerliche Impfkampagne des Landes. Bisher sind weniger als vier Millionen Impfdosen in Australien ausgegeben worden – bei einer Bevölkerung von knapp 26 Millionen. Letzteres liegt an Impfstoffengpässen, aber auch an einer gewissen Impffaulheit der Bevölkerung, die über Monate eigentlich schon wieder ein normales Leben führte und die Dringlichkeit einer Impfung nicht unbedingt fühlte.
Viele sind zudem gegenüber dem AstraZeneca-Impfstoff, der über 50-Jährigen verabreicht wird, skeptisch, nachdem sie in den Medien über die Gefahr eines Blutgerinnsels nach der Impfung gelesen haben. „Ich sehe ein gewisses Zögern in meiner Familie und unter meinen Freunden“, berichtete beispielsweise Jodie Ingles, eine renommierte Medizinerin in Australien. Die meisten würden denken: „Warum sollte ich auch nur das winzigste Risiko eines Blutgerinnsels akzeptieren, wenn das Risiko, Covid zu bekommen, gleich Null erscheint.“ Das sei der Nachteil des so guten Covid-Managements ihres Landes. Doch der neue Ausbruch in Melbourne hat nun viele aus ihrer Impfmüdigkeit „erwachen“ lassen. Am Donnerstag fiel die Impf-Hotline in Victoria aus, nachdem zu viele Anrufe das System überlasteten.
Von Barbara Barkhausen aus Sydney