Nur weniger Sars-CoV-2-Infektionen verhindern das Entstehen potenziell noch gefährlicherer Virusvarianten. Hygiene- und Quarantänemaßnahmen sowie die Covid-19-Impfung sind entscheidend. In der Therapie von schweren Covid-19-Erkrankungen hat die Medizin enorm viel gelernt, hieß es Donnerstagabend in einer Online-Fortbildungsveranstaltung der österreichischen Intensivmedizin-Fachgesellschaft ÖGARI. Ähnlich äußerte sich vor Kurzem auch der Wiener Infektiologe Christoph Wenisch.
Pro Woche ein bis zwei Mutationen
"Die Veränderung der Sars-CoV-2-Viren ist etwas Normales. Pro Woche treten ein bis zwei Mutationen auf. Es wird weiterhin Varianten geben, die uns beschäftigen werden. Das Einzige, was hilft, wäre, dass die Infektion nicht mehr auftritt", sagte Infektiologe Günter Weiss (MedUni Innsbruck). Die Pandemie mit hohen Infektionsraten sorgt automatisch für Mutationen der Erreger. Via Selektionsdruck setzen sich "erfolgreichere" (z. B. infektiösere) Sars-CoV-2-Varianten durch. Der Experte führte dazu auch die Entwicklung in Österreich an: Anfang 2021 entsprachen 90 Prozent der Covid-19-Erreger dem "Wildtyp" aus Wuhan. "Das hat sich auf 26 Prozent in der Kalenderwoche zehn verschoben", sagte Weiss bei der Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Österreichweit machten in jener Woche bereits 46 Prozent der Infektionen Ansteckungen durch die britische Variante B.1.1.7 aus, 25 Prozent die südafrikanische Mutation B.1.351. In Ostösterreich ist mittlerweile fast nur noch die britische Virusvariante vertreten. B.1.1.7 ist offenbar etwa um 35 Prozent ansteckender. Verantwortlich dafür dürfte eine bessere Bindungsfähigkeit am ACE2-Rezeptor der Zellen sein. Eine höhere Sterblichkeit durch diese Virusvariante sei bisher vor allem bei Hochbetagten registriert worden.
Mögliche Reinfektionen
Die größte Sorge: Eine hoch infektiöse Sars-CoV-2-Variante erwirbt Genmutationen, welche die Erreger vor der Immunantwort besser schützen. Das kann auch zu Reinfektionen führen. Dies ist beispielsweise bei der B.1.525-Virusvariante der Fall. Sie enthält, anders als die B.1.1.7-Variante aus England, auch die sogenannte E484K-Mutation. Antikörper, die gegen andere Virusvarianten gebildet wurden, sind gegen die E484K-Mutation weniger wirksam. In Laborversuchen zeigte Weiss, dass solche Virusvarianten erst durch mehrfach höhere Antikörper-Konzentrationen neutralisiert werden.
Man sollte jedenfalls so viel gegen Covid-19 impfen, wie es mit den zugelassenen Vakzinen ginge, erklärte Walter Hasibeder (Krankenhaus Zams/Tirol), neuer Präsident der ÖGARI. Ganz wichtig seien aber auch vorsichtiges Verhalten, Hygiene und das Tragen von Masken. Der Experte zitierte die Erkenntnisse aus der Covid-19-Erkrankungswelle an Bord des US-Atom-Luftwaffenträgers "Theodore Roosevelt" im vergangenen Jahr: "Innerhalb von kürzester Zeit infizierten sich 55 Prozent der Besatzung von rund 5000 Mann. Aber das Tragen einfacher Masken reduzierte das Risiko einer Infektion um 70 Prozent." Dieses Resultat ist gerade bei den räumlich extrem beengten Verhältnissen auf einem solchen Schiff frappant.
Richtiger Zeitpunkt, richtiges Medikament
Insgesamt hat die Medizin im vergangenen Jahr bezüglich der Behandlung von Patienten mit schwerer Covid-19-Erkrankung enorm viel gelernt. "Wir haben an meiner Abteilung mittlerweile schon mehr als 2000 Covid-19-Patienten behandelt. Es gibt etablierte Behandlungsleitlinien", sagte Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung an der Klinik Favoriten. Sein Credo: Vor allem der richtige Zeitpunkt für den Einsatz der jeweils richtigen Medikamente ist entscheidend. So sei das antivirale Medikament Remdesivir nur am Beginn wirksam. "Dafür wirkt die antientzündliche Therapie mit Cortison (z. B. Dexamethason) danach."
Hinzu kämen nunmehr auch monoklonale Antikörper zur Verhinderung schwerer Krankheitsverläufe. "Aber die kann man schwer untersuchen, weil viele der Sars-CoV-2-Infektionen ja erst nach Tagen diagnostiziert werden", erklärte der Infektiologe. Mittlerweile gibt es allerdings gute Daten dazu aus Quasi-Haushaltsstudien, in denen belegt wurde, dass mit einem Antikörper-Mix bei asymptomatischen Sars-CoV-2-Infizierten eine Krankheit mit Symptomen zu einem hohen Prozentsatz verhindert werden kann.
Blutverdünnung
Eindeutig wird die Mortalität bei schwerer Covid-19-Erkrankung reduziert durch eine Blutverdünnung zur Verhinderung von Thromboembolien durch die Gabe von Heparin etc. Hasibeder zeigte dazu Daten aus einer Studie aus fünf New Yorker Spitälern mit 4389 Patienten: "Ohne Antikoagulation (Blutverdünnung; Anm.) betrug die Mortalität rund 40 Prozent, mit Antikoagulation war sie um die Hälfte geringer." Wenisch verwies darauf, dass sogar niedrig dosiertes rtPA, jene Substanz, mit der Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten im Akutfall zur Auflösung des aufgetretenen Blutgerinnsels in einer Koronararterie oder einem Gehirngefäß behandelt werden, eingesetzt werden kann.
Trotzdem bleibt das Zurückdrängen der Infektionsraten das einzige Mittel, um die Pandemie möglichst gut in den Griff zu bekommen. Und durch die auftauchenden Mutationen bedingt werde es wohl auch immer wieder Anpassungen der Covid-19-Vakzine geben müssen, betonte Infektiologe Weiss bei der ÖGARI-Online-Fortbildungsveranstaltung.