Boris Johnson ließ gar keinen Zweifel aufkommen. "Es wird definitiv Oxford/AstraZeneca sein", sagte der britische Premierminister, als er von seinem Corona-Impftermin berichtete. Seit Beginn der Pandemie verkauft Johnsons Regierung die Eindämmung des Coronavirus als nationale Anstrengung, die der des Zweiten Weltkriegs gleicht. Kritik am "Oxford-Impfstoff", wie Regierungsmitglieder das Vakzin gerne nennen, wird als Kritik am eigenen Land verstanden.
Täglich ist von "Kampf" und "Gefecht" die Rede und immer wieder wird der Geist der Weltkriegsgeneration beschworen. Dazu gehört, den - wie die Regierung nicht müde wird zu betonen - maßgeblich in Großbritannien vorangetriebenen und finanzierten Impfstoff zu preisen.
Demonstrativ ließ sich Johnson das Präparat spritzen, das der Pharmakonzern AstraZeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat. Es gilt als Wunderwaffe im Kampf gegen den "unsichtbaren und kaltblütigen Feind", wie Churchill-Bewunderer Johnson es formuliert - und hat inzwischen einen Status ähnlich dem der Spitfire-Flugzeuge oder des Radars, die dabei halfen, den Krieg zu gewinnen.
An diesem Samstag (27. März) ist es ein Jahr her, dass der Premier seine Corona-Infektion öffentlich machte. Sie hätte ihn beinahe das Leben gekostet, wie er später bekannte. Tagelang musste er auf der Intensivstation behandelt werden. Überhaupt war 2020 kein gutes Jahr für Johnson. Es fehlte an Schutzausrüstung und Beatmungsgeräten, mehrmals zögerte der Premier lange, bevor er einen Lockdown verhängte. Das Test- und Kontaktverfolgungsprogramm kam nicht in Gang. Großbritannien wurde zum Land mit einer der höchsten Todesraten in der Pandemie weltweit.
Doch das Blatt hat sich gewendet. Mittlerweile hat der 56 Jahre alte konservative Politiker vor allem dank des erfolgreichen Impfprogramms einen Lauf - mehr als die Hälfte der Erwachsenen hat bereits eine erste Dosis erhalten. Die zuerst in England entdeckte Virusvariante B.1.1.7 hatte um den Jahreswechsel einen Anstieg der Infektionen verursacht, doch das ist inzwischen überstanden. Die strengen Lockdown-Maßnahmen tragen Früchte. Die Zahlen gehen weiterhin zurück. Ein Ende der Einschränkungen scheint bereits in Sicht.
Zu Johnsons politischem Erfolg trägt aber auch bei, dass es in der EU alles andere als rund läuft. Die Infektionszahlen steigen und die Impfkampagne geht nur schleppend voran. Der Mann, der seine Karriere vor allem dem Brexit verdankt, versteht es, daraus Kapital zu schlagen. Zwar hält er sich verbal inzwischen sehr mit Provokationen zurück - stets ist von "Freunden und Nachbarn" die Rede -, doch für den britischen Premier scheint der innenpolitische Nutzen einer Konfrontation mit Brüssel größer zu sein als die Vorzüge einer Kooperation. So wurde der Impferfolg unter anderem mit einer wenig partnerschaftlichen Strategie erreicht.
London hat einen exklusiven Vertrag mit AstraZeneca geschlossen, der dem Land eine bevorzugte Behandlung einräumt. "Unser Vertrag übertrumpft deren", bekannte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock freimütig im Hinblick auf die EU, die massive Kürzungen der versprochenen Liefermenge des britisch-schwedischen Herstellers hinnehmen musste. Die EU klagt zudem darüber, dass Großbritannien bereits Millionen Impfstoffdosen vom Kontinent erhalten hat, aber bisher nichts zurückkam.
In Großbritannien aber ficht das die wenigsten an. Zumal der Impfstoff in Europa ohnehin nicht geschätzt werde, wie häufig angeführt wird. Tatsächlich hat AstraZeneca in Europa ein Image-Problem. Zuerst hieß es, das Vakzin biete deutlich weniger Schutz als andere Mittel. Das ist mittlerweile von mehreren Studien widerlegt. Zuletzt setzten mehrere europäische Länder die Impfungen mit dem Präparat vorübergehend aus, um einen möglichen Zusammenhang mit der Bildung von Blutgerinnseln im Gehirn zu erforschen.
"Die Europäische Union würde eher ihre Einwohner sterben lassen, als dass das Vereinigte Königreich Erfolg hat", twitterte der Kolumnist Tony Parsons. "Sie haben den brillanten, billigen und effizienten Impfstoff von AstraZeneca in den Dreck gezogen - ein Akt medizinischer Dummheit und politischen Wahnsinns." Dass es auch in den USA Vorbehalte gegen den Impfstoff gibt, spielt in der britischen Debatte kaum eine Rolle.
"In England wird der "Oxford-Impfstoff" als nationaler Erfolgsgarant behandelt, als Symbol für britischen Mut und Einfallsreichtum", kommentierte die "Irish Times". Wie der Sender Sky News kurz nach Beginn der Impfkampagne berichtete, hätten manche Kabinettsmitglieder auf die Fläschchen am liebsten die britische Nationalflagge gedruckt.
Ob Johnson von der Euphorie um den Impf-Erfolg dauerhaft profitieren kann, wird davon abhängen, ob sie so gut weitergeht wie bisher. Eine verspätete Lieferung aus Indien sorgt im April voraussichtlich für verlangsamtes Tempo beim Impfen. Zudem haben bisher nur wenige Menschen beide Impfdosen erhalten.